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Ansprache des Vorsitzenden des Kreisausländerbeirates Corrado Di Benedetto zum Empfang "Miteinander im Gespräch" am 18.11.2006

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Sehr geehrter Herr Landrat Walter,
sehr geehrte Frau Erste Kreisbeigeordnete Jäger,
verehrte Gäste!

Ich habe mich dieses mal bei der Vorbereitung meiner Ansprache schwer getan, mich auf Themen festzulegen, die ich heute hier ansprechen will, um Ihnen, verehrte Gäste, ein paar Anhaltspunkte für unser Gespräch miteinander zu geben.

Es gibt in Bezug auf Zuwanderung und Integration täglich Themen und Berichterstattungen, auf die im Grunde eingegangen werden müsste, auf Bundes-, Landes- und natürlich auch auf kommunaler Ebene, die es geradezu herausfordern, Stellung dazu zu nehmen.

Ob es die kriminologische Fachtagung in Wiesbaden ist, die aus bayerischer Sicht kraftprotzende Debatte über das Bleiberecht, die Bekämpfung des Asylmissbrauchs, die aus fachlicher Sicht völlig abwegige Debatte über die Ausschließlichkeit der Nutzung der deutschen Sprache in den Dietzenbacher Kindergärten, der Nationalplan zur Integration, die besorgniserregende Zunahme des Rechtsextremismus, die Reform des erst kürzlich in Kraft getretenem Zuwanderungsgesetztes, ...und und und ......

Wo fange ich hier am besten an, habe ich mich gefragt?

Aus diesem Grunde habe ich mir meine Ansprachen und Reden der letzten Jahre angeschaut, und muss feststellen, dass sie fast alle, im Grunde jedes Jahr von neuem gehalten werden könnten, und das, meine ich, ist kein gutes Zeichen.

Was ich damit sagen will, ist meine Damen und Herren, dass zwar über Integration ständig geredet und debattiert wird, teils gar in erbärmlicher Weise - wie wir hier gerade in der Kreisstadt Dietzenbach erleben-, es tut sich aber real, immer noch zu wenig, viel zu wenig für mein Empfinden. Das könnte uns einmal Kopf und Kragen kosten, und es sind hier nicht nur die Folgekosten gemeint, meine Damen und Herren.

Und schaut man sich die Sache genauer an, so lässt sich bald feststellen, dass es im Grunde nicht um die zum Schreckgespenst hochstilisierte Zuwanderung geht, sondern immer noch um das Fehlen eines auf Konsens basierenden, schlüssigen Konzeptes der Integration der bereits seit Jahrzehnten hier lebenden Ausländer. Es geht letztendlich nicht um die Ausländer selbst, meine Damen und Herren, so grotesk es Ihnen auch erscheinen mag.

In den siebziger und achtziger Jahren, also in der Zeit der eigentlich politischen Auseinandersetzung um Immigration und Integration, war der migrationspolitische Diskurs einerseits auf technokratisch verengte Fragen des Arbeitsmarktes und dessen Regulierung ausgerichtet. Der Anwerbestopp für Arbeitsimmigranten im Jahr 1973 und das nur halbwegs erfolgreiche Rückkehrförderungsprogramm der 1982 neu ins Amt gelangten christlich-liberalen Regierung, bildeten die symbolischen Landmarken dieser Epoche und ihres Ansatzes.

Als Protagonisten der Immigrationspolitik und der Arbeitsmarktpolitik agierten gemeinschaftlich Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und die jeweils amtierenden Regierungen und deren Administrationen, vor allem jene, die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der Gestaltung des Arbeitsmarktes Entscheidungsgewalt ausüben.

Andererseits war die Debatte der siebziger und achtziger Jahre um Immigration und Integration durch sozialpolitische und wohlffahtsstaatliche Klischees gekennzeichnet. Hier agierten vor allem die organisierten sozialpolitischen Interessen der Mehrheitsgesellschaft, allen voran die Wohlfahrtsverbände und die ihnen wohlgesonnenen Sozialministerien auf Bundes- und Landesebene.

Dabei wurde kaum Raum gelassen, und das ist meines Erachtens das Fatale, meine Damen und Herren, Immigration und Integration JENSEITS des sozialpolitischen Ghettos zu thematisieren und intellektuell zukunftsweisend auszugestalten.

Im besten Fall herrscht hier ein reaktiver, meist noch stark sozialpaternalistischer Umgang mit den enormen Herausforderungen unserer inzwischen „real existierenden" Einwanderungsgesellschaft vor. Den armen Ausländern muss man doch helfen, so die Devise.

Das eingespielte Team von Wohlfahrtslobbyisten und staatlichen, sprich finanzierenden Institutionen, hält diese sozialen paternalistischen Strukturen aufrecht.

Das eigentliche Manko ist jedoch nicht die - aus welchen Gründen auch immer - erst späte politische Entdeckung der Themen Immigration und Integration, oder die oft erdrückende Vorherrschaft des sozialpolitischen Diskurses, sondern die nahezu vollständige Abwesenheit einer kulturpolitischen Debatte im weitesten Sinne, um die Ausgestaltung der Einwanderungsgesellschaft. Ja, meine Damen und Herren, um die Ausgestaltung der Einwanderungsgesellschaft, nicht der Probleme der Ausländer in Deutschland.

Und spätestens hier kommen wir um die zentrale Frage der Gleichberechtigung nicht herum, in unserer modernen Demokratie.

Integration, meine Damen und Herren, kann nur gelingen, wenn in der Gesellschaft ein Konsens darüber hergestellt wird, was unter Integration zu verstehen ist, und welche berechtigten Erwartungen sich daraus an die Aufnahmegesellschaft und die Zugewanderten ableiten.

Wichtigste Vorraussetzung für Integration und Partizipation setzt meines Erachtens ein Gesellschaftsverständnis voraus, welches Zugewanderte durch faktische und rechtliche Sicherheit den einheimischen gleichstellt und ihnen damit erst die Identifikation mit und die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft ermöglicht.

Integration verstehe ich nicht als einseitige Übernahme einer vorgefundenen Ordnung, sondern vielmehr als ständigen, dialogischen Prozess der gegenseitigen Verständigung über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens, in dem Zugewanderte wie Einheimische gleichermaßen eingebunden sein sollten.

Dieser dialogische Prozess, meine Damen und Herren, ist meiner Auffassung nach, nicht oder noch nicht in gebotenem Maße in Gang gekommen, bedenkt man, dass die deutsche Immigrationsrealität fast genau so alt ist, wie die Bundesrepublik selbst. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, und wo stehen wir heute, nachdem ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozess stattgefunden hat und das wiedervereinigte Deutschland, - wenn auch noch sehr, sehr zaghaft- sich als Einwanderungsland versteht?

Hier ist, meine ich, Nachdenklichkeit und Vernunft angebracht, meine Damen und Herren. Wir brauchen Menschen und Verantwortungsträger, die mit Verstand und Intelligenz diesen Prozess steuern und mitgestalten. Wir können ihn nicht denen überlassen, die von niederen Instinkten und populistischem Gedankengut geleitet werden, wie uns die so genannte „Kindergartendebatte" hier in der Kreisstadt Dietzenbach zeigt.

Und damit ich in diesem Zusammenhang richtig verstanden werde, will ich Folgendes bewusst hinzufügen, meine Damen und Herren:Selbstverständlich gehören ein Präsidentenportrait, eine Hymne und eine Landesfahne zum Selbstverständnis einer Nation dazu. Gewiss stellen sie Identifikationssymbole dar, die sinngebend sind und die gewünschte Wertediskussion in Deutschland positiv beeinflussen. Es geht hier aber einzig und allein, um die Diskriminierung durch den Zwang, in den Dietzenbacher Kindergärten ausschließlich die deutsche Sprache benutzen zu müssen. Es ist geradezu lächerlich, in jeder Hinsicht.

Als ob sich irgendein Mensch wünscht, meine Damen und Herren, dass dem Nachwuchs, egal welcher Nationalität, die deutsche Sprache fremd bleibt und damit jede Chance vertan ist, in der Schule mitzuhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen und auch sonst alle Integrationshürden zu nehmen.

Meine Damen und Herren, es sind gewiss nicht die niederen Instinkte, die den Weg zu den Lösungen unserer sehr komplexen Probleme in unserem Land weisen können. Die Rassismen, die sich schrecklicherweise wieder in ganz Europa breit machen, können sicherlich nicht dazu beitragen, unsere Zukunft und die der kommenden Generationen so zu gestalten, dass sie lebenswert bleibt.

Dazu, meine Damen und Herren, hat die Hessische Landesregierung nach der erklärten Maxime „Dialog fördern - Parallelgesellschaften verhindern" vor wenigen Monaten erfreulicherweise ein Dokument herausgegeben, aus dem ich ein paar Kernsätze zitieren möchte. Es handelt sich um die Leitlinien und Handlungsempfehlungen für kommunale Integrationsprozesse. Sie tragen den Titel:

„Land und Kommunen - Hand in Hand für eine gute Integration", darin heißt es:

„Integration ist ein gegenseitiger Prozess zwischen den Zugewanderten und der Aufnahmegesellschaft und zielt darauf, zugewanderten Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung der jeweils eigenen kulturellen Identitäten zu ermöglichen. Integration bedeutet zugleich ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz und die Akzeptanz der in unserem Land geltenden Grundwerte, insbesondere die Wahrung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit, Solidarität, Freiheit und die Gleichberechtigung von Frau und Mann."

Weiter heißt es:

„Im Sinne einer nachhaltigen Integration ist ein strukturierter und dauerhafter Dialog zwischen allen am Integrationsprozess Beteiligten unabdingbar. Die religiösen und kulturellen Organisationen, die Ausländerbeiräte bzw. Integrationsbeauftragte sowie Selbstorganisationen der Zugewanderten, die deren Lebenssituation vor Ort kennen, haben die Aufgabe, auf Offenheit und Integration hinzuwirken und Parallelgesellschaften zu verhindern", Zitatende.

Meine Damen und Herren, dies ist geradezu eine revolutionäre Herangehensweise an die große gesellschaftliche Herausforderung der Integration und ich meine, dass man es besser nicht formulieren kann, als es die Hessische Landesregierung getan hat. Über dieses Dokument bin ich sehr, sehr froh, und man kann nur hoffen, dass es in Sachen Integration zur Meßlatte in allen hessischen Städten und Gemeinden wird, einschließlich der Kreisstadt Dietzenbach, die von sich behauptet, die größten sozialen Probleme zu haben.

Ich wünsche mir auch, dass wenn unser Ministerpräsident, Herr Koch, der auf Einladung des CDU-Stadtverbandes Dietzenbach zu seinem Neujahrsempfang in Januar 2006 in Dietzenbach sich angekündigt hat, die hessischen Integrationsleitlinien in besonderer Weise unterstreicht und die richtigen Worte findet, um den Parteifreunden in Dietzenbach mal zu zeigen, wie das Land Hessen -teils in vorbildlicher Weise- Integration betreibt, und auch so bundesweit Schlagzeilen macht, und zwar positive Schlagzeilen.

Wenn man mit Sachverstand die besagten Leitlinien studiert, dann kommt man leicht zu dem Schluss, dass der Dialog - an sich - eines der Zauberwörter ist, das friedliche Miteinander, das übrigens auch in Dietzenbach bedeutend besser ist, als sein Ruf, weiter zu fördern und zu stabilisieren.

„Dialog fördern - Parallelgesellschaften verhindern", warum frage ich mich, soll diese Maxime der Hessischen Landesregierung für die Stadt Dietzenbach nicht gelten? Für unsere Kreisstadt, die in der Mitte unseres Kreises sich befindet? Wir haben schon was damit zu tun.

Der Kreisausländerbeirat ist sehr besorgt über die aufkommenden ausländerfeindlichen Töne in der Dietzenbacher Kommunalpolitik - Dietzenbacher Kommunalpolitik wohlgemerkt- und sieht darin neue Formen der Ausgrenzung Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger anderer Hautfarben, Religionen und ausländischer Herkunft. Hier steckt unseres Erachtens System dahinter und es muss dringend verhindert werden, dass diese gefährliche politische Haltung anderswo in unserem Kreis Offenbach Fuß fasst und auch dort salonfähig wird. Da brauchen wir nicht nach Sachsen zu schauen, und das ist keineswegs übertrieben, verehrte Gäste. Gerade die jüngst veröffentlichten Zahlen über die starke Zunahme des Rechtsradikalismus in Deutschland, geben mehr als Anlass zur Sorge. Vielleicht sollte man auch in unsere eigene Mitte mal schauen und nicht nur über unseren Tellrand hinaus.

Sie merken, verehrte Damen und Herren, in mir kocht etwas. Einerseits will und muss ich aufgrund meiner Funktion bestimmte Dinge und Sachverhalte ansprechen und es gehört auch zu meiner Pflicht, hin und wieder Stellung zu beziehen. Anderseits liegt es mir fern, Menschen zu verletzen, zu ärgern oder gar abzuschrecken. Deshalb bedenken Sie bitte, dass ich seit über 25 Jahren mich mit den Themen Immigration und Integration beschäftige, hauptamtlich aber auch ehrenamtlich, so dass Sie davon ausgehen können, verehrte Damen und Herren, dass meine Aussagen und Stellungnahmen nicht aus der Hüfte geschossen sind.

Ich will hier mal den Bogen spannen zu unserem Mikrokosmos, zu unserem Kreis Offenbach, der nicht nur aus der Stadt Dietzenbach besteht.

Ich kann mich gut daran erinnern, wie Anfang der 90er Jahre, - sozusagen fast im vierten Gang - damit begonnen wurde, sich mit Integration zu befassen. Gemeinschaftlich haben es wir geschafft in den letzten 15 Jahren - erfreulicherweise unabhängig von Mehrheitsverhältnissen - wirklich gute Grundlagen in Sachen Integration im Kreis Offenbach zu schaffen. Hierfür kann ich im Namen des Kreisausländerbeirates nur von Herzen danken. Allen danken, und es sind nicht wenige, meine Damen und Herren, die auf unterschiedlichen Weisen unschätzbares dazu beigetragen haben, dass auch hier in unserem Kreis, Integration eine der zentralen Aufgabenfelder geworden ist.

Wenn Sie sich allein das Internetportal unseres Kreises mal anschauen, da wird schnell deutlich, dass die Internationalität und die Vielfalt, zu der sich unser Kreis ganz offen bekennt, hoch im Kurs stehen. Dutzende Links lotsen den Internetbesucher weiter und man kommt leicht zu dem Schluss, dass Internationalität und Vielfalt ein großer Reichtum unseres Lebensraumes darstellt. Ökonomisch, sozial, kulturell und selbstverständlich auch zwischenmenschlich.

Dennoch verehrte Gäste, habe ich das Gefühl, dass man sich in Sachen Integration im Kreis Offenbach - weil man eben viel geschafft hat - sich etwas zur Ruhe legen will.

Das, meine Damen und Herren, geht nicht. Viel zu viel hängt gleichermaßen für alle Menschen, die in unserem Kreis leben davon ab, wie das Miteinander immer wieder aufs das neue gefördert und systematisch organisiert wird. Es ist letztendlich die Lebensqualität, bzw. unser aller hoher Lebensstandard in unserer Region, der auf dem Spiel steht. Wer will da schon was riskieren, meine Damen und Herren. Und ungern verweise ich in diesem Zusammenhang auf die Vorkommnisse in Frankreich, die hier leider nicht unerwähnt bleiben können.

Mit Bestimmtheit will ich auch hinzufügen, dass es keineswegs ausreicht, in Sachen Integration die Defizite nur bei den so genannten Migranten, dieses grausige Wort, zu suchen. Nach dem Motto: „Mama lernt Deutsch" und ich füge hinzu: „Papa Englisch".

Integration, meine Damen und Herren, ist in letzter Konsequenz ein umfassender, gesellschaftlicher Bildungsprozess, der alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen betrifft und das, erst Recht in einer modernen Demokratie, wie die unsere.

Verehrte Gäste, es muss deshalb wieder ein Ruck durch unser Kreis gehen, der den Integrationsmotor wider auf Touren bringt. Es gibt mehrere Themen, die dringend auf die Tagesordnung müssen. Einige will ich hier, wenn auch nur oberflächlich, wenigstens erwähnt haben:

Stichwort: Kreisausländeramt
Die Situation in und mit der Ausländerbehörde ist nach wie vor sehr kritisch. Diese Behörde ist weiterhin landesweit dafür bekannt, die Ausländergesetzgebung in der Regel sehr restriktiv - bis aus ganz wenige Ausnahmen- auszulegen, obwohl diese in vielen Fällen humanere Entscheidungen ermöglichen würden. In Anbetracht der insgesamt guten Integrationsbemühungen des Kreises Offenbach, bleibt hier die Frage offen, warum dies so sein muss.

Stichwort: Integration als Querschnittsaufgabe
Hier bin ich gar geneigt zu behaupten, dass gänzlich Funkstille herrscht. Und es würde mich sehr freuen, wenn das nicht so wäre.

Stichwort: Interkulturelle Öffnung
Begreift man die Interkulturelle Öffnung nicht als Spinnerei, sondern als einen institutionellen Lernprozess, um die Fähigkeit, das Denken, Handeln und Verhalten unter den Bedingungen kultureller Verschiedenheit und sozialer Ungleichheit zu reflektieren, dann kann man leider nicht davon sprechen, dass in den vergangenen Jahren hier in gebotenem Maße daran gearbeitet worden ist.

Stichwort: Fortschreibung Integrationskonzept
Es ist ausgeschlossen, dass ein Integrationsbüro allein, für die Umsetzung eines Integrationskonzeptes verantwortlich zeichnet. Das bestehende Konzept muss weiter fortgeschrieben, Verantwortlichkeiten müssen verbindlich aufgeteilt und es muss per Kreistagsbeschluss sichergestellt werden, dass das Integrationskonzept konstant weiterentwickelt und auch entsprechend umgesetzt wird.

Stichwort: Migrationsdienste und Beratungszentren
Es ist nicht erkennbar, verehrte Gäste, dass im Rahmen der Neuordnung der Beratungslandschaft in unserem Kreis, die Migrationssozialarbeit eine Rolle spielt. Hier herrscht unseres Erachtens dringender Handlungsbedarf und wir haben auch nicht den Eindruck, dass - aus welchen Gründen auch immer- die diesbezüglichen Überlegungen des Kreisausländerbreirates entsprechend Gehör gefunden haben. Alleine durch die Migrationserstberatung, ist es nicht möglich die Engpässe auszugleichen, zumal die Migrationserstberatung sich in erster Linie an so genannte Neuzuwanderer richtet, und die so genannten Bestandsausländer, also die Masse, hierbei nur eine zweitrangige Rolle spielen. Dieses kann so nicht bleiben in unserem Kreis und man solle trotz aller finanzieller Hürden, es sich zumindest nicht nehmen lassen, ernsthaft hier Überlegungen anzustellen, um die Situation zu entschärfen

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte es bei der Aufzählung belassen und dennoch dick unterstreichen, dass sehr gute maßnahmenorientierte Projekte im Kreis Offenbach laufen, und dass ich trotz meiner kritischen Bilanz, hervorragende Grundlagen sehe, um die Intensität der Integrationsanstrengungen im Interesse aller Menschen, die hier in unserem Kreis leben, weiter zu erhöhen. Wir haben - Gott sei Dank - in Politik, Verwaltung und in der Bevölkerung, verehrte Gäste, genügend Potential, um weiter an dieser gesellschaftlichen Herausforderung zu arbeiten, und zwar weiter mit Erfolg zu arbeiten. Und deshalb will ich im Namen des Kreisausländerbeirates weiterhin dafür werben, dass es sich lohnt nach dem Leitsatz „globale Sichtweise, lokales Handeln" gemeinschaftlich dafür Sorge zu tragen, dass unser Lebensraum Kreis Offenbach weiterhin lebenswert bleibt.

Bevor ich zu einem erheitern deren Schlussteil meiner Ansprache bildet komme, brennt mir doch noch etwas in der Seele, und ich kann es den Delegierten des Kreisausländerbeirates, in dessen Namen ich hier übrigens sprechen darf, aber auch allen anderen Ausländern, die hier im Kreis Offenbach ihren Lebensmittelpunkt haben, auch nicht antun, nicht darauf einzugehen.

Es hat auch mit der zweifelsohne legitimen, ich wiederhole: legitimen Zerschlagung des „Asylmissbrauchsrings im Kreis Offenbach" zu tun, mit dem operativen Namen „Wohlfahrt". Na ja, was soll ich zu dem Namen sagen...

Eine für viele überraschende Erkenntnis dürfte jedoch sein, dass Alles in allem, so der Befund einer kürzlich (im Jahr 2006) veröffentlichten Untersuchung des Sachverständigenrates der Bundesregierung für Zuwanderung und Integration, sind die Deutschen unterm Strich Nutznießer der Immigration. Ganz zu schweigen vom demographischen Nutzen. Ich zitiere: „Sie (sie, die Deutschen) profitieren, trotz der hohen Arbeitslosigkeit unter den Ausländern und den damit verbundenen hohen staatlichen Ausgaben, mehr von deren Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen, als jene umgekehrt vom Geld der Deutschen", Zitatende.

Darüber spricht niemand, meine Damen und Herren.

Vielleicht sollte sich mal jemand die Mühe machen, zu errechnen, was die deutsche Volkswirtschaft in den 60er, 70er, 80er und Teils auch in den 90er Jahren allein an Gewinn durch die Arbeitskraft „Ausländer" oder „Gastarbeiter" eingefahren hat, wohlgemerkt in einer Zeit einer Art Vollbeschäftigung im Vergleich zu heute. Hätte man damals schon von einem minimalen, sehr unbedeutenden Anteil dieses astronomischen Megagewinnes - in jeder Hinsicht (muss man da sagen), zum Beispiel alleine die Deutschkurse oder auch nur die scheinbar „popelige" Hausaufgabenhilfe finanziert, wären wir heute gewiss ein Stück weiter....... und das, meine Damen und Herren, nicht nur in Sachen Integration. Ich sage nur PISA.

Darüber spricht man nicht!

Man spricht eher über den bayerischen Innenminister Beckstein, der obwohl er die aktuellen Schlussfolgerungen des Sachverständigenrates der Bundesregierung - der jetzigen Bundesregierung wohlgemerkt - kennen müsste, weiterhin mit populistischer Impertinenz, die so genannte Einwanderung in deutsche Sozialkassen scheinheilig zu stoppen versucht. Und damit einer der vernünftigsten Entscheidungen der Bundesregierung in Sachen Bleiberecht, die übrigens vom Land Hessen ausgegangen ist, gerade vorgestern, ja fast zu Fall gebracht hätte. Das ist, bei allem Respekt, schon eine Frechheit.

Man spricht nicht über die drei Millionen Ausländer, meine Damen und Herren, die am Band stehen, auf dem Bau schaffen, sich in der Putzkolonne abschuften, oder auch mal im Büro sitzen. Und selbst wenn sie durch ihre Erwerbstätigkeit auch nur ein einziges Familienmitglied mitfinanzieren (bei den meisten sind es mehrere), hätten wir ja schon die Zahl der in Deutschland lebenden Einwanderer überschritten, die selbst für ihr Lebensunterhalt aufkommen und dadurch, gar andere so mitfinanzieren.

Heute ist es so, meine Damen und Herren, geschweige denn, wie es war, in Zeiten der Vollbeschäftigung, in Zeiten, in denen es nur Gastarbeiter gab, die außer Schwerstarbeit sowieso nichts andres hatten, außer ihre Baracken, die entweder über oder unter ihren Arbeitsstätten situiert waren.

Darüber spricht man nicht!

Man spricht auch nicht darüber, dass die Mehrheit der Zuwanderer und ihrer Familien ein inzwischen, ich zitiere aus der Zeit vom 28. September 2006, „ein normales deutsches Leben führt.", Zitat ende, was auch immer das heißen mag, meine Damen und Herren.

Glauben Sie mir, die Liste ist noch lange nicht zu Ende! Es soll aber reichen.

Ich habe Ihnen mit meiner Ansprache heute einiges zugemutet und abverlangt und das an einem Samstagnachmittag, verehrte Gäste. Das weiß ich, und deshalb, bin ich Ihnen persönlich auch sehr, sehr dankbar, dass Sie mir aufmerksam gefolgt sind und ich will auch wie versprochen, zu einem etwas erheiternden Ende meiner Ausführungen kommen.
Dazu einige Passagen eines amüsanten Artikels über das größte Traumschiff aller Zeiten. Tja, man sollte das Träumen doch nicht lassen...

Es ist ein Bericht im Wirtschaftsteil des Spiegels Nr. 41, vom 10. Oktober 2006. Hier einige Auszüge...

„Das Welt-SchiffDie „Freedom of the Seas" ist der größte Kreuzfahrtriese aller Zeiten. Das schwimmende Hotel gilt als Symbol für die Expansionslust einer boomenden Branche. Und Passagiere wie Crew zählen zu einer neuen, von der Globalisierung geprägten Generation. Von Thoma Tuma

An Board gibt es weder unter den Gästen noch in der Crew Rassen-, Religions- oder Polit-Streitigkeiten. Die grauen PVC-Treppenhäuser der Mannschaft und die kreischbunten Teppich-Welten der Gäste verbindet ein einzigerartiger Dualismus: Die einen wollen Geld ausgeben, die andern wollen es verdienen…

Es gibt an Board koscheres und laktosefreies Essen sowie etliche Suppen für die Asiaten. Und wenn sich mal besonders viele Mittel- und Südamerikaner angemeldet haben, wird frühzeitig mehr Latino-Food geordnet. Die größten Fremdsprachengruppen bekommen eigene Einweisungen. Am Tag zwei treffen sich auch die deutschen Gäste Konferenzcenter unten auf Deck 2. Der österreichische Chefkoch Johann Petutschnig erzählt von seinen 156 Köchen und 100 Putzhilfen, die jeden Tag 25000 Portionen Essen liefern. Am Ende schaut er in die runde, ob noch jemand Fragen hat. Einer meldet sich, weshalb es keine Salzkartoffeln gebe. Petutschnig könnte an dieser Stelle sagen, dass das nun wirklich typisch deutsche sei. Aber er antwortet nur: „ Meld´s euch, da mach ma eich a Soizkortoffeln!" Er meint das ernst. Wenn es sie glücklich macht wird er sie zuschütten mit Salzkartoffeln…

Daneben steht der „International Ambassador" Mohamed Kotb und lächelt. Er spricht geschliffenes Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch sowie Arabisch. Er ist gebürtiger Ägypter, hat in Frankreich und Deutschland gelebt und heute einen kanadischen Pass. Bei US- Grenzkontrollen wird er schon wegen seines Vornamens regelmäßig wie Osama Bin Ladens Sohn behandelt…

Er ist viel zu höflich, zu verraten, welche Klischees über welche Nationalitäten nach seiner Borderfahrung der Weisheit entsprechen. Er selbst fühlt sich überall zu Hause. Und nirgendwo…

Einerseits ist das Management an Bord ängstlich darauf bedacht, eine Art kleinsten gemeinsamen Moralnenner zu finden. Oben-ohne-Sonnenbaden ist deshalb strikt verboten. Andererseits erzählen Hyperventilierende Hausfrauen bei der Partner-Show unter wildem Gejohle, was die verrücktesten Orte waren, an denen sie mit ihren Gatten schon Sex hatten. Eine Oma hat die Lacher auf ihrer Seite, als sie sich an den Baum bei einer Hirschjagd erinnert…

Es gibt eine Menge solcher Puzzlesteine, die auf dieser Reise nicht zusammenpassen. Der ganze Planet „ Freedom" ist neben all seiner Perfektion eben immer auch ein bisschen zu laut zu schrill, zu atemlos und grell geschminkt, zu kitschig und konsumistisch, zu voll und amerikanisch, um sich selbst in Frage zu stellen. Ist dieses Schiff also das Schreckensbild einer künftigen Welt-Gesellschaft? Oder doch deren Hoffnungsschimmer, weil es beweist, dass vom Fortschritt alle profitieren können? Selbst der Filipino, der mit seinen Kollegen ganz unten im Neonlicht des „Freedom" –Bauchs den stinkenden Dreck von rund 5500 Passagieren und Crew-Mitgliedern sortiert, filtert und verbrennt, funkelt fröhlich, als sei er der König der Welt…

Es wird endgültig klar, dass die „ Freedom" zu viel mehr taugen würde als zum Flaggschiff der Kreuzfahrer-Kreuzzügler. Dass US-Präsident Georg W. Busch es völlig falsch angeht mit der Erziehung der restlichen Welt. Er sollte keine Flugzeugträger schicken, sondern Kreuzfahrtschiffe…

Zur Generation Globalisierung gehört auch deren Atemlosigkeit: Im finnischen Turku sind schon zwei „ Freedom" –Schwestern im Bau sowie das noch spektakulärere Nachfolgeprojekt. Nichts darf zurzeit nach außen dringen, aber bestimmt wird das neue Rekordschiff eine „Freedom" + Ponyhof+ Tauchbasis+ Bungee- Sprungturm+ Achterbahn. MindestensDas Monstrum ist für über 5400 Passagiere ausgelegt, wird 360 Meter lang sein, wohl über eine Milliarde Dollar kosten und soll im Herbst 2009 starten. Schon sein Name proklamiert den Branchengrundsatz abgrundtief- fröhlicher Fortschrittshybris: „Genesis", Zitatende."

Zum Schluss, verehrte Gäste, will ich im Namen des Kreisausländerbeirates allen danken, die für das Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben, in Besondererweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung, die, wie in den vergangenen Jahren mit Bravour und hoher Professionalität sich einbringen, dank auch für die wunderbare musikalische Beleitung der Pianistin Fatma G. Ortac, dem türkischen Vorbereitungsteam des Buffets, und selbstverständlich allen - und es sind nicht wenige -, die mit Ernsthaftigkeit, Sachverstand und Überzeugung in Sachen Integration mit anpacken. Stellvertretend für sie alle, will ich unseren Landrat Peter Walter und Erste Kreisbeigeordnete, Frau Claudia Jäger, die für Integration im Kreis Offenbach verantwortlich zeichnet, erwähnen.

Herzlichen Dank auch an unsere Geschäftsführerin, Frau Kanisicak, oder deren Einsatz das alles hier nicht möglich wäre, und ich will auch meinen beiden neu gewählten Vorstandskollegin Frau Olga Lucas und Kollegen Tuna Firat für die gute und sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit danken.

Ich wünsche uns noch einen vergnüglichen Abend und denke, dass nach meiner inhaltsreichen und teils auch provokanten Ansprache, Ihnen die Themen für das „Miteinander im Gespräch" nicht fehlen werden, meine Damen und Herren.

Herzlichen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und ich darf Sie jetzt einladen, verehrte Gäste, sich am Buffet, das für Sie gerichtet ist, zu bedienen.

Corrado Di Benedetto
Vorsitzender Kreisausländerbeirat Offenbach
Dietzenbach, den 18. November 2006