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Ansprache des Vorsitzenden des Kreisausländerbeirates Offenbach Corrado Di Benedetto zum Empfang »Miteinander im Gespräch" am 25.08.2002

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist natürlich kein Zufall, dass wir Sie heute zu unserem jährlichen Empfang „Miteinander im Gespräch" hier nach Dietzenbach eingeladen haben. Wie Sie sicherlich wissen, hat im Juni dieses Jahres der Umzug unserer Kreisverwaltung stattgefunden. Der Kreisausländerbeirat hat bewusst diesen Ort gewählt, um zu dokumentieren, dass auch er sich mit dem neuen Domizil identifiziert.

Wie Sie sehen, ist es insgesamt ein gelungenes Bauwerk geworden. Wir befinden uns hier im Plenarsaal des Kreistages, in dem in den nächsten Jahrzehnten wohl Entscheidungen getroffen werden, die alle Menschen direkt betreffen, die in unserem Landkreis ihren Lebensmittelpunkt haben; unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religion.

Während der Akademischen Feier zur offiziellen Übergabe dieses Gebäudes, hat Landrat Walter in seiner Ansprache die „geographische Lage" des neu gewählten Domizils unserer Kreisverwaltung in besonderer Weise hervorgehoben. Dieses habe ich in meiner Funktion als Vertreter der über 65.000 ausländischen Einwohner sehr gerne vernommen. Sinngemäß sagte er, dass nach 170 Jahren unsere Kreisverwaltung wieder in ihre geographische Mitte gezogen ist, denn Dietzenbach liegt exakt im Zentrum unseres Landkreises. Dietzenbach liegt auch in der Mitte Hessens und wie es der Zufall will, auch in der Mitte Deutschlands. Ja und schaut man sich die Koordinaten an, so liegt unser Landkreis auch in der Mitte Europas.

Für einige anwesende Gäste schien diese Aussage etwas überzogen, dennoch hat Landrat Walter, wie bei vielen anderen Anlässen, damit deutlich machen wollen, dass in unserem Landkreis der Geist von Internationalität seinen festen Platz eingenommen hat.

Dies, meine Damen und Herren, ist in meinen Augen ein klares Bekenntnis der eigenen Verantwortung zur Förderung und Weiterentwicklung des friedlichen Miteinanders in unserem gemeinsamen Lebensraum. Es ist in der Tat mehr als ein edler Vorsatz, Herr Walter. Die ausländische Bevölkerung in unserem Landkreis wird es Ihnen danken, und die Region auch.

Unser diesjähriger Empfang ist im Rahmen der zum ersten Mal durchgeführten „Interkulturellen Woche des Kreises Offenbach" eingebunden.

Gerne ist der Kreisausländerbeirat der Bitte des Fachdienstes Förderung des Ehrenamtes, Sport und Kultur nachgekommen, der diese ins Leben gerufen hat und sie federführend organisiert. Der Kreisausländerbeirat wird künftig tatkräftig diese wichtige Initiative in unserem Landkreis unterstützen.

Gestatten Sie mir nun, meine Damen und Herren, zunächst den Blick auf die bundespolitische Debatte um die so genannte Zuwanderung zu werfen. Besser gesagt, um das inzwischen, von wem auch immer, zum Schreckgespenst hochstilisierten Begriff der „Zuwanderung" einzugehen.

Schaut man sich die Sache genauer an, so lässt sich bald feststellen, dass es im Grunde nicht um die Zuwanderung geht, sondern immer noch um das Fehlen eines auf Konsens basierenden, schlüssigen Konzeptes der Integration der bereits seit Jahrzehnten hier lebenden Ausländer.

Wanderungsbewegungen von Menschen hat es zu allen Zeiten und überall gegeben. Deutschland ist da keine Ausnahme. Ob es die Römer vor 2000 Jahren waren, die Hugenotten im 17. Jahrhundert (Stichwort Hugenottenstadt Neu-Isenburg, mitten in unserem Kreis gelegen), die Ruhrpolen Anfang des 20. Jahrhunderts oder die so genannten Gastarbeiter der 50er, 60er, 70er, 80er Jahre und so weiter.

Heute wandern jährlich einige hunderttausend Menschen in Deutschland ein. Fast ebenso viele ziehen aus Deutschland fort.

Was bedeutet Zuwanderung in diesem Zusammenhang?

Was bedeutet Zuwanderung, wenn man sich die heutige Lage ausländischer Einwohner vor Augen hält, und sie mit der der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre vergleicht und mit Erstaunen feststellt, dass sich nicht vieles zum Guten geändert hat?

Segregationsphänomene, erschreckend hoher Anteil hier geborener ausländischer Jugendlicher ohne Schulabschlüsse und so weiter, und so weiter ….

Von der ausländischen Bevölkerung lebt ein Drittel bereits seit 20 Jahren und länger in Deutschland. Mehr als die Hälfte länger als 10 Jahre.

Hinzu kommen die Kinder – 22 Prozent aller ausländischen Kinder und Jugendlichen sind hier in Deutschland geboren.

Meine Damen und Herren, diese Zahlen zeigen, dass ein Großteil der Menschen ohne deutschen Pass längst in Deutschland zu Hause ist.

Lassen Sie sich also nicht beirren, wenn Ihnen bestimmte Verantwortungsträger auch auf Bundesebene Glauben machen wollen, wir würden hier in Mitteleuropa überfremdet oder gar unseres eigenen Heimes bedroht, weil so viele Ausländer in unser Land kommen.

Nicht die Zuwanderung ist das Problem. Das Problem ist die über Jahrzehnte lang praktizierte deutsche Immigrationspolitik, die im Grunde keine war und größtenteils noch keine ist, und somit Integration unserer Meinung nach verhindert:

Zum Beispiel durch ein immer noch - trotz der jüngsten Reform – antiquiertes Staatsangehörigkeitsrecht, durch die konsequente Verweigerung des Wahlrechtes für langjährig hier lebende Ausländer oder durch ein rigides Ausländergesetz, das trotz der jüngsten Reform, Ausländer immer noch vorrangig als ordnungspolitisches Problem versteht, wie das Polizeirecht Anfang des letzten Jahrhunderts.

Wenn die Leitlinie der Integrationspolitik im Grunde auf Ausgrenzung hinaus ist, dann versteht es sich von selbst, dass Integration nicht gelingen kann.

Natürlich erkennt der Kreisausländerbeirat die von der amtierenden Bundesregierung eingeleitete – und längst überfällige – Wende in der Politik der Einbeziehung von Minderheiten in Deutschland an. Wir wissen, dass dies seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland der bedeutendste und bisher mutigste integrationspolitische Schritt ist. Dennoch bewegt sich alles noch viel zu langsam, so langsam, dass der Alltag in unseren Städten und Gemeinden die geltenden Gesetze weit überholt.

Eine verantwortliche Einwanderungspolitik darf sich nicht nur am ökonomischen Interesse orientieren, sondern muss sich auch am Maßstab der Menschenwürde messen lassen. Auch eingewanderte Menschen haben Familie, können krank werden. Dann sind auch sie – wie jeder andere – auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen.

Die lauten Stimmen von namhaften Spitzenpolitikern, so kurz vor der Bundestagswahl, die immer wieder die angebliche Zuwanderung in die Sozialkassen kritisieren, sollten mit derartigen Äußerungen aufhören. Sie sind fehl am Platz. Ausländische Arbeitskräfte sind keine Arbeitsmaschinen, die man wegwirft, wenn sie nicht mehr funktionieren.

Als politisches Gremium gehört es sicherlich zu unserer obersten Pflicht, in einem angemessenen, aber unmissverständlichen Ton darauf hinzuweisen, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht sein darf, auf Kosten von Minderheiten Stimmenfang zu betreiben.

Es sind gewiss nicht die niederen Instinkte, die den Weg zu den Lösungen unserer sehr komplexen Probleme in unserem Land, ja in Europa muss man jetzt schon sagen, weisen können. Die Rassismen, die sich schrecklicherweise wieder in ganz Europa breit machen, können sicherlich nicht dazu beitragen, unsere Zukunft und die der kommenden Generationen so zu gestalten, dass sie lebenswert bleibt. Die jüngste Geschichte sollte für uns Abschreckung genug sein, meine Damen und Herren.

Die Angst vor Stimmenverlusten, die viele politisch Verantwortliche quer durch alle Parteien haben, sollte nicht den Mut zu visionären Konzepten verdrängen.

Wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Integration, besser gesagt: „Inklusion", ist ein Gesellschaftsverhältnis, welches Zugewanderte durch faktische und rechtliche Sicherheit den Einheimischen gleichgestellt und ihnen damit – und dies scheint mir besonders wichtig zu sein – sowohl die Identifikation mit, als auch die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft erst ermöglicht. Alles andere sollte in einer modernen Demokratie im Herzen Europas keinen Platz haben.

Ich will hier erneut an alle Verantwortlichen appellieren: nehmen Sie das Kooperationsangebot der ausländischen Einwohner, ihrer Vertreter und Organisationen ernst. Nehmen Sie sie in die Pflicht, meine Damen und Herren, Verantwortung zu übernehmen; und zwar nicht nur in Schrebergärtenvereinen, sondern auch in Gremien, in denen relevante Entscheidungen gefällt werden.

Integrationspolitik auf Landesebene:

Es versteht sich von selbst, dass auch darauf eingegangen werden muss, wenn auch oberflächlich.

Fakt ist, meine Damen und Herren, dass – aus welchen Gründen auch immer – seit dem Wechsel der Regierungskoalition in Wiesbaden, eine Dynamik in die hessische Integrationspolitik gekommen ist, die längst überfällig war. Die Richtung stimmt, dennoch ist nicht alles Gold was glänzt! Diese Landesregierung ist selbst von den schärfsten Kritikern für diese Wende in der hessischen Integrationspolitik zu Recht gelobt worden. Diese Landesregierung hat Wesentliches dazu beigetragen, dass die hessischen Kommunen sich eher der Verantwortung stellen, das Zusammenleben vor Ort systematisch zu organisieren.

Zweifelsohne ist alles dies ein großer Verdienst der jetzigen Koalition.

Auch wir in unserem Landkreis hätten möglicherweise noch kein Integrationsbüro, wenn das Land Hessen sich nicht an der Finanzierung beteiligt hätte.

Allerdings bleibt noch eine wesentliche Frage offen, die mit Anlass zur Vermutung gibt, dass die Grenze zwischen Integration und Assimilation bewusst so gestaltet ist, dass sie nicht deutlich erkennbar scheint. Warum?

Wenn man sich zum Beispiel die „Nacht und Nebel Aktion" bezüglich der faktischen Abschaffung des muttersprachlichen Unterrichtes in Hessen vergegenwärtigt, dann sind meines Erachtens schon Antagonismen erkennbar. Einerseits wird von Seiten der Landesregierung proklamiert, die Integration sei ein Prozess des aufeinander Zugehens, andererseits wird den Ausländern im Grunde das genommen, was das Persönlichste, was das höchste Kulturgut an sich ist: die eigene Sprache. Und man braucht dazu keine Psychologie oder Philosophie studiert zu haben, um sich der bedeutenden Tatsache bewusst zu sein, dass Sprache und Identität sehr nah beieinander liegen.

Nach dem Motto „globale Sichtweise, lokales Handeln" möchte ich nun zu unserem Landkreis Offenbach kommen. Bei uns gibt es bezüglich der Integrationsbemühungen in der Tat viel Positives und Erfreuliches zu berichten. Hierzu möchte ich unserem Landrat, Herrn Walter, den Vortritt überlassen. Dennoch ist mir sehr daran gelegen, im Namen des Kreisausländerbeirates Offenbach die wirklich hervorragenden Zusammenarbeit mit dem Kreisausschuss, mit der Kreispolitik und selbstverständlich auch mit der Kreisverwaltung hervorzuheben.

Das Thema Integration in unserem Landkreis rückt immer mehr in die Mitte des parlamentarischen Geschehens und in unserer Verwaltung wird diesbezüglich auch interdisziplinär gearbeitet. Nicht zu vergessen sind die vom Kreistag beschlossenen Finanzmittel für die eminent wichtigen, schulischen Maßnahmen ausländischer Kinder. Dieser Posten wird in Zukunft wohl ein fester Bestandteil der Haushaltspläne sein.

Von Herzen wollen wir uns hierfür bei Ihnen bedanken, Herr Walter, bei Ihnen, erste Beigeordnete Frau Tempelhahn, bei Ihnen, Kreistagsvorsitzender Herr Faust, bei den demokratischen Fraktionen des Kreistages und bei Ihnen, Verwaltungsdirektor Herr Härtter.

Natürlich gilt der Dank ebenso auch all denen, die an dieser positiven Entwicklung der Integrationsbemühungen in unserem Landkreis beteiligt gewesen sind. Es sind nicht wenige, bleiben Sie bitte alle dran und lassen Sie uns weiterhin an einem Strang ziehen.

Ein Dank gilt auch den folgenden Organisationen, meine Damen und Herren, ohne deren Unterstützung wir künftig nicht mehr arbeiten könnten. Hierzu gehören insbesondere der Hessische Städte- und Gemeindebund, die Leitstelle Zusammenleben der Stadt Offenbach, die Städte und Gemeinden unseres Landkreises samt ihren Ausländerbeiräten - bis auf Mainhausen -, ebenso die Stadt Offenbach, die Migrationsdienste der Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und die Ausländerbeauftragten des Polizeipräsidiums Südosthessen. Lobend erwähnen möchte ich auch die Presse, die nach wir vor mit Sympathie und Wohlwollen über das Wirken des Kreisausländerbeirates berichtet, und somit für uns von unschätzbarem Wert bleibt. Herzlichen Dank!

Im Rahmen der Initiative „Eine Stunde für den Frieden", die unter Einbindung der Repräsentanten des öffentlichen Lebens, seinen Beitrag zum bestehenden interreligiösen Dialog in unserer Region leisten will, möchte ich mich in besonderer Weise bei den Vertretern der verschiedenen Glaubensgemeinschaften für die beispielhafte Zusammenarbeit herzlich bedanken:

    • Herrn Nejati Hancer Vors. Vom Türkisch-islamischen Kulturverein
    • Herrn Dr. Kerem Weinberger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde OF
    • Herren Jörg Engelmann und Johannes Heisig für den Ökumenischen Vorbereitungsausschuss

Unserer ersten Beigeordneten, Frau Tempelhahn, möchte ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal danken – für die würdevolle Vertretung unseres Landkreises bei den vergangenen interreligiösen Veranstaltungen.

Ebenfalls möchte ich an dieser Stelle für die sehr fruchtbare Kooperation mit dem Ausländerbeirat der Stadt Offenbach danken, lieber Herr Vorsitzender Abdel Kader Rafoud.
Dem kommissarischen Leiter unseres Integrationsbüros, Herrn Dr. Zimmermann, gebührt auch ein herzliches Dankeschön, nicht nur für die vertrauensvolle Kooperation, sondern auch für die Qualität seiner Arbeit, die ihm durch die Errichtung des Integrationsbüros zusätzlich aufgebürdet worden ist.

Ein besonderer Dank gilt meinen engsten und wichtigsten Beratern, die ich indirekt im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit schon einmal erwähnt habe. Es sind die Herren Luigi Masala, von der „Leitstelle Zusammenleben" der Stadt Offenbach und Herr Bernardo Klotz, Referent beim HSGB. Diese beiden Herren leisten für das friedliche Zusammenleben hier in unserer Region Unschätzbares. Stehen Sie uns bitte weiterhin mit Rat und Tat zur Seite.

Meinen beiden Stellvertretern, Herrn Hüsamettin Eryilmaz und Herrn Ayhan Cebi möchte ich auch für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Vorstand danken. Ja, und zum Schluss bleibt noch der Name unserer Geschäftsführerin, Frau Semra Kanisicak, die die Seele beziehungsweise das Salz des Wirkens des Kreisausländerbeirates ist. Im Grunde fehlen mir die Worte, um das wiederzugeben, was sie für unseren Landkreis leistet. Ich habe das schon im letzten Jahr während unseres Empfangs im Rahmen des Hessentages gesagt, und da sie sich zu dem draußen befand, will ich es hier nochmals sagen: sie ist ein Glücksfall für unsere Kreisverwaltung.

Als Zeichen unseres Dankes, darf ich Dir, liebe Semra, diesen Strauß Blumen übergeben.

Sehr verehrte Damen und Herren, wir wollen gemeinsam feiern. Aber in dieser Stunde gehen unsere Gedanken auch an die Menschen in den Hochwassergebieten in Sachsen, in Bayern, in unseren europäischen Nachbarländern. Wir sind froh über alle Zeichen der Solidarität – insbesondere der internationalen Solidarität – und der Anteilnahme, die ein hervorragendes Zeugnis des Gemeinsinns in unserem Land sind.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns für das Ziel, das schon vor Jahrtausenden Sokrates formuliert hat, weiterhin gemeinsam arbeiten:

„Wirst du nach deiner Heimat gefragt, so antworte nicht: Ich bin Athener, oder: Ich bin aus Korinth. Sondern: Ich bin ein Bürger dieser Welt."

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Corrado Di Benedetto
Vorsitzender Kreisausländerbeirat Offenbach