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Vortrag des Vorsitzenden des Kreisausländerbeirates Offenbach Corrado Di Benedetto

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Dies, meine Damen und Herren, das Thema, das mir vorgegeben ist. Ich möchte gleich zu Beginn anmerken, dass ich mich nicht stringent daran halten möchte und bitte dafür um Verständnis.

Während an den allgemeinbildenden Schulen die Bildungsbeteiligung der in Deutschland lebenden jungen Ausländer/innen wieder steigt, durchlaufen immer weniger ausländische Jugendliche eine Lehre oder eine schulische Berufsausbildung.

Angesichts der Tatsache, dass für eine leistungsfähige Wirtschaft und die Integration der Ausländer/innen in die Gesellschaft, Bildung und berufliche Qualifikation entscheidend wichtig sind, müssen junge Ausländer/innen besser in das berufliche Bildungswesen integriert werden.

Insofern sind die heutige Tagung und das gesamte Vorhaben von EQUAL eine notwendige und lobenswerte Initiative, die sicherlich dazu dienen können, „neue Wege aufzuzeigen, die zur Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt geeignet sind" und Strategien zu verfolgen, um aus dieser misslichen Lage - insbesondere für die jungen Ausländer/innen - herauszukommen.

Ich möchte hier auch die Gelegenheit nutzen, meine Damen und Herren, mich im Namen aller Ausländerbeiräte der entsprechenden Gebietskörperschaften, für die ich hier spreche, zu bedanken, und den Veranstalter/innen und allen anderen Beteiligten auch Mut zuzusprechen, an dieser Initiative weiterhin mit Eifer zu arbeiten, denn sie verfolgt unseres Erachtens die richtigen Ansätze, die leider Gottes über Jahrzehnte hinweg in unserem Einwanderungsland Deutschland - in sträflicher Weise, wie ich meine- schlichtweg vernachlässigt worden sind.

Mehr als lobenswert an diesem Vorhaben ist auch die eminent wichtige Einbindung von Ausländerinnen und Ausländern selbst und den von ihnen gegründeten Organisationen wie zum Beispiel die CGIL. Dies ist für mich ein Zeichen dafür, meine Damen und Herren, dass die Veranstalterinnen und Veranstalter sehr wohl verstanden haben, dass Integrationsbemühungen ohne die adäquate Inklusion von Ausländerinnen und Ausländer, letztendlich dazu verdammt sind, ins Leere laufen zu müssen.

Die jüngste Immigrationsgeschichte Deutschlands, worauf ich später noch einmal zu sprechen komme, belegt dies sehr eindrucksvoll.

Jeder zehnte Schüler in Deutschland, so berichtete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden vor wenigen Wochen, hat einen ausländischen Pass. Dies sind 961.000 Kinder und Jugendliche. Darin nicht enthalten sind die Kinder und Jugendlichen, die zwar einen deutschen Pass haben, aber trotzdem in gleichem Maße von dem Problem der Chancenungleichheit beziehungsweise strukturellen Diskriminierung betroffen sind.

In der Gesamtbevölkerung liege der Ausländeranteil, so das Bundesamt weiter, bei 9 Prozent. An den Gymnasien wurden 4 Prozent gezählt, an den Gesamtschulen knapp 13 Prozent und an den für uns Ausländerinnen und Ausländer inakzeptablen Sonderschulen für Lernbehinderung leider 16 Prozent im Durchschnitt. Knapp 20 Prozent der ausländischen Schülerinnen und Schüler verlassen die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss, bei den deutschen Schülerinnen und Schülern sind es nur 8 Prozent. Während mehr als 26 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler die Hochschul- oder Fachhochschulreife erreichen, sind es laut Bundesamt bei ausländischen Jugendlichen gerade mal 11 Prozent. Immer weniger ausländische Jugendliche - bundesweit gesehen - beginnen im Anschluss an den Besuch einer allgemeinbildenden Schule eine Berufsausbildung und schließen diese erfolgreich ab.

Von den deutschen Schülerinnen und Schülern befanden sich im Jahr 2000 fast 84 Prozent in einer beruflichen Ausbildung, von den ausländischen hingegen nur 70 Prozent.

Ausländische Jugendliche hingegen mussten deutlich häufiger als deutsche (9 Prozent gegenüber 3 Prozent) Einrichtungen des Berufsvorbereitungs- oder Berufsgrundbildungsjahres besuchen, auf die, wie die bereits erwähnten Sonderschulen für sogenannte Lernbehinderungen, die Ausländerbeiräte - milde ausgedrückt - nicht gerade gut zu sprechen sind.

Von den rund 100.000 ausländischen Schülerinnen und Schülern, die im Jahr 2000 den Besuch beruflicher Schulen in Deutschland beendet haben, konnten 35 Prozent keinen Abschluss erzielen, bei den deutschen Schülern war die Quote lediglich halb so hoch.

Obwohl junge Ausländerinnen und Ausländer in den letzten Jahren verstärkt Ausbildungsplätze in Betrieben nachgefragt haben, konnten sie nicht mehr Lehrverträge abschließen. Seit 1996 ist die Zahl der ausländischen Jugendlichen, bundesweit betrachtet, von 116.200 auf knapp 97.000 im Jahr 2000 gesunken. Bezogen auf die Altersgruppe der 18- bis unter 21-jährigen waren damit nur noch ein Drittel der ausländischen Heranwachsenden, gleichzeitig aber fast zwei Drittel der Deutschen als Auszubildende beschäftigt.

Ich möchte es bei diesen bundesweit erhobenen Zahlen belassen. Unsere lokalen Daten möchte ich erst gar nicht erwähnen, sie sind noch schlechter, meine Damen und Herren.
Deutlich wird jedoch, dass es gewaltige und systematische gesellschaftliche Kraftanstrengungen bedarf, die Bildungs- und Ausbildungssituation - insbesondere ausländischer Jugendlicher - zu verbessern, die in der Tat von Chancenungleichheit geprägt ist.

Bevor ich zum zweiten und letzten Teil meiner Ausführungen komme, will ich nun aus einer aktuellen Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg einige Zeilen zitieren.

Darin schreiben die federführenden Wissenschaftler Alexander Reniberg und Markus Hummel, ich zitiere:

„Wir befinden uns auf dem Weg, unseren entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf´s Spiel zu setzen, nämlich das für unseren Hochtechnologie- und Hochlohnstandort bedeutende Humankapital."

Dieser Bergriff "Humankapital", wird unabhängig davon bezeichnenderweise auch vom Frankfurter Professor und Migrationsforscher Frank-Olaf Radtke schon seit langem genutzt. Er fordert, dass das deutsche „System Schule" sich unvoreingenommen auf dieses „Humankapital" (er nennt es auch: Bildungsreserve Ausländerinnen und Ausländer) einstellen soll, und dementsprechend das "System Schule in Deutschland" umzugestalten, damit es nicht nur der deutschen Volkswirtschaft zugute kommt, sondern auch dem einzelnen, benachteiligten Individuum unserer Gesellschaft eher eine lebenswerte Zukunft ermöglicht.

Im Übrigen stellt Professor Radtke in seinem jüngst veröffentlichten Buch „Institutionelle Diskriminierung" die ernst zu nehmende These auf, das deutsche Schulsystem selbst sei in erster Linie dafür verantwortlich, dass ausländische Kinder und Jugendliche im Vergleich zu ihren deutschen Gleichaltrigen im Schulischen so schlecht abschneiden. Ich zitiere einen Kernsatz aus dem besagten Buch, das auch den für sich schon sprechenden Untertitel trägt: "Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule."

Jetzt der Kernsatz: Die Erklärung für mangelnden Schulerfolg wird in der öffentlichen Diskussion überwiegend in den Defiziten der betroffenen Kinder, ihrer familiären Umwelt und Kultur gesucht. Der Ort seiner Herstellung, die Schule, bleibt außer Betracht", so Prof. Radtke.

Zurück zur Studie der Bundesanstalt für Arbeit. Dort heißt es weiter: „Die Ursachen liegen nicht nur in der demographischen Entwicklung, sondern auch in der Qualifizierungstrends der Bevölkerung.......

Selbst ein deutlicher Anstieg der Geburtenraten - wofür derzeit allerdings nichts spricht - oder Zuwanderung in wirtschaftlich und gesellschaftlich vertretbaren Größenordnung können diesen Trend bestenfalls bremsen, nicht aber stoppen" urteilen die Wissenschaftler Reinberg und Hummel. "Die internationale Konkurrenz um die hellen Köpfe wird sich in Zukunft wohl eher noch verstärken" prophezeien sie.

Weiter heißt es:

Angesichts der schlechteren Qualifikationsstruktur der in Deutschland lebenden Einwanderinnen und Einwanderer, dem unbefriedigenden Ausbildungsniveau ihrer Kinder und hoher rechtlicher Hürden für ausländische Absolventinnen und Absolventen deutscher Hochschulen beim Zugang in den Arbeitsmarkt sei eine bessere Integrationspolitik zwingend erforderlich.

Dies, meine Damen und Herren, ist das Resümee des Instituts für Arbeitsmark - und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bezüglich Migration und Integration. Insofern, will ich an dieser Stelle nochmals mit Nachdruck dafür werben und Sie ermutigen, Ihre Anstrengungen bezüglich der Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation junger Ausländer/innen weiter fortzuführen, trotz aller negativen Signale, auch der, die zur Zeit in besonderer Weise durch die eklatanten Kürzungen der hessischen Landesregierung hereingebrochen sind.

Und, meine Damen und Herren, wenn wir schon beim Land Hessen sind: es ist geradezu lächerlich, die öffentliche Debatte um Zuwanderung und Integration dadurch bereichern zu wollen, dass das Erlernen der deutschen Sprache ein Garant, für eine gelungene Integration sei.

Dies ist für mich im Moment eher ein Zeichen dafür, dass man es mit der Integration doch nicht so ernst meint, wie es allseits propagiert wird.

Und wir müssen uns alle ganz dick hinter die Ohren schreiben, dass mit dem Erlernen der deutschen Sprache allein, so determinant dies auch ist, der sehr schwierige, hochkomplexe, gesellschaftliche Prozess der Integration, nicht zu machen ist.

Solange ernst zu nehmende Partizipationsmöglichkeiten von ausländischen Einwohnern dadurch gekennzeichnet sind, dass es Menschen erster, zweiter und dritter Kategorie gibt, solange wird auch die jetzt erst entdeckte "Wunderwaffe" der Sprachförderung nicht viel ausrichten können. Dessen bin ich mir sicher, meine Damen und Herren.

Zum zweiten Teil meiner Ausführungen sei mir gestattet den Bogen etwas weiter zu spannen. Als Vertreter der politischen Gremien, den Ausländerbeiräten der Gebietskörperschaften Frankfurt, Offenbach die Landkreise Offenbach und Main-Taunus, will ich mich nicht nur auf das mir vorgegebene Thema beschränken, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche, politische Wertung über Zuwanderung und Integration abgeben.

Hierzu möchte ich Ihnen aus einem Spiegel vergangener Wochen auszugsweise ein Paar Zeilen vortragen, die ich beim Lesen als sehr amüsant empfunden habe.

Der Titel unter der Rubrik „Emigranten" lautet: „Hier bin ich wieder wer!"

Bezeichnend und sehr ungewohnt finde ich, nebenbei bemerkt, dass es in einer deutschen Wochenzeitschrift unter der Rubrik „Emigranten" auf einmal nicht die Ausländer/innen in Deutschland, die sogenannten Migrantinnen und Migranten gemeint sind (die Nichtsesshaften füge ich scherzeshalber gerne dazu), sondern die Deutschen selbst, die sich auf dem Weg machen im Ausland ein besseres Leben zu führen. Aus welchen Gründen auch immer.

Ich zitiere aus dem Spiegel Ausgabe 42/2003, S. 64/67: „Von Alanya kommen wir nun zurück nach Deutschland, und wir versetzten uns 20, 30 oder auch 40 Jahre zurück:

„Immer mehr deutsch Rentner verlegen ihren Alterssitz statt nach Mallorca in die Türkei. Die Preise sind viel niedriger, das Wetter ist ebenso gut – und die Einheimischen geben sich respektvoll."

Zwischen 12000 und 20000 Deutsche – so schätzt die deutsche Botschaft in Ankara – leben inzwischen schon ständig in der Türkei…. Die Zeitung ’Hürriyet’ schätzte die Zahl der Deutschen kürzlich sogar auf 70000….

„Die Deutschen werden in Scharen kommen, wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, dass der Türke in der Türkei ganz anders ist als der Türke, den der Deutsche vor seiner Haustür sieht." Schließlich sehe man in Alanya beispielsweise weniger Kopftücher als in Frankfurt am Main. Die Einwanderer pflegen ihre Lebensart im deutschen Club ’Die Brücke’ mit Festen, Ausflügen und Skatrunden. Zudem gibt es einen Ortsverband des ’Hür Türk’, des Freiheitlich Türkisch-Deutschen Freundschaftsvereins, der - gegründet von türkischen Geschäftsleuten - deutschen Mitgliedern bei Problemen und Behördengängen hilft.

„Wir wollen die Deutschen integrieren, damit sie sich bei uns wohl fühlen", sagt Hasan Sipahioglu, Bürgermeister in Alanya. Weil die Deutschen etwa als tierlieb gelten, werden streunende Hunde nicht mehr wie früher von der Stadt vergiftet, sondern in einem Tierheim aufgepäppelt und wenn möglich an deutsche Senioren vermittelt.

In der Fleischzeile grüßen auf einer Malerei über einem Stand zwei rosige Ferkel mit erhobenem Daumen; Metzger Halil Dakmaz verkauft eingeschweißte Mett- und Leberwurst aus einer Istanbuler Fabrik und Wildschweinfleisch.

In vielen Supermärkten wird „alman ekmek" (Schwarzbrot) angeboten. In „Willis Kneipe" in der Damlatas-Straße direkt am Meer gibt es Mettwurst und Sauerkraut, Leipziger Allerlei und Zwetschgenkuchen. Den Dauergästen bietet die deutsche Wirtin Weihnachts- und Sylvesteressen, Katerfrühstück, Karnevalsfeiern, Tanz in den Mai und Preisskat an.

„Der Einfluss der Deutschen in Alanya ist viel größer als ihre Zahl", sagt der Journalist Ahmet Algül: „Die Straßen und Parks werden immer gepflegter, man hält seine Verabredungen ein, die Türken fangen an, Filterkaffee zu trinken, und trauen sich ja kaum noch, einen Hund zu verjagen."

Doch immer mehr Pensionäre wollen auch in der neuen Heimat beerdigt werden; neben dem muslimischen Gräberfeld hat die Stadt deshalb einen christlichen Friedhof angelegt. „In Liebe zu Alanya" oder „Nun bist Du frei für immer in Alanya" steht auf den Steinen, die Gräber sind kostenlos. 50 Christen wurden hier in den vergangenen Jahren bereits beerdigt, im Frühjahr sprach bei der Bestattung eines Deutschen auf Wunsch der Familie sogar der Mufti Muhammed Gevher ein islamisches Totengebet.

Der Gottesmann residiert in einem dunkel getäfelten Büro neben der neu erbauten Moschee. „Die Toleranz in der Türkei ist groß", beteuert er, „warum sollte ich nicht am Grabe eines Christen beten? Die Deutschen sind hier wie in Deutschland unsere Nachbarn, und vor Gott sind alle Menschen gleich." Erst vor wenigen Tagen habe er einen deutschen Pfarrer empfangen, der hier bald mit seiner Arbeit beginnen werde.

Wegen der wachsenden Zahl von Christen plant sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche inzwischen, Seelsorger an die türkische Riviera zu schicken. Sogar eine örtliche Kirche konnte es demnächst geben - Bürgermeister Sipahioglu hat kürzlich schon eine passende Immobilie ausgemacht. Sie thront auf dem Berg über der Stadt: In der alten Festungsanlage wird ab November eine byzantinische Kapelle aus dem elftem Jahrhundert restauriert, Zitat ende.

In den siebziger und achtziger Jahren, also in der Zeit vor der eigentlich politischen Auseinandersetzung um Migration und Integration, war der migrationspolitische Diskurs einerseits auf technokratisch verengte Fragen des Arbeitsmarktes und dessen Regulierung ausgerichtet. Der Anwerbestopp für Arbeitsimmigranten im Jahr 1973 und das nur halbwegs erfolgreiche Rückkehrförderungsprogramm der 1982 neu ins Amt gelangten christlich-liberalen Regierung bildeten die symbolischen Landmarken dieser Epoche und ihres Ansatzes. Als Protagonisten der Migrationspolitik als Arbeitsmarktpolitik agierten gemeinschaftlich Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und die jeweils amtierenden Regierungen und deren Administrationen, vor allem jene, die im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der Gestaltung des Arbeitsmarktes Entscheidungsgewalt ausübten.

Andererseits war die Debatte der Siebziger- und Achtziger Jahre um Migration und Integration durch sozialpolitische und wohlfahrtsstaatliche Klischees gekennzeichnet. Hier agierten vor allem die organisierten sozialpolitischen Interessen der Mehrheitsgesellschaft, allen voran die Wohlfahrtsverbände und die ihnen wohlgesonnenen Sozialministerien auf Bundes- und Landesebene.

Dabei wurde kaum Raum gelassen, und das ist meines Erachtens das Fatale, meine Damen und Herren, Migration und Integration jenseits des sozialpolitischen Ghettos zu thematisieren und intellektuell zukunftsweisend auszugestalten.

Im besten Fall herrscht hier ein reaktiver, meist noch stark sozialpaternalistischer Umgang mit den enormen Herausforderungen unserer inzwischen „real-existierenden" Einwanderungsgesellschaft vor. „Den armen Ausländer/innen muss man doch helfen" so die Devise.

Das eingespielte Team von Wohlfahrtslobbyisten und staatlichen, sprich: finanzierenden Institutionen hält diese sozialpaternalistischen Strukturen aufrecht.

Das eigentliche Manko ist jedoch nicht die - aus welchen Gründen auch immer - erst späte politische Entdeckung der Themen Migration und Integration oder die oft erdrückende Vorherrschaft des sozialpolitischen Diskurses, sondern die nahezu vollständige Abwesenheit einer kulturpolitischen Debatte im weitesten Sinne" um die Ausgestaltung der Einwanderungsgesellschaft.

Im lokalen Raum finden sich alternative Kulturzentren für Zuwanderer, sogenannte multikulturelle Begegnungsstätten und andere „Harmlosigkeiten" (so nennt es z.B. Rainer Ohlinger vom "Netzwerk Migration in Europa") mit kurzer Reichweite und oft noch kürzerer Lebensdauer.

Eine koordinierte, kulturpolitische Initiative in gesamt gesellschaftlicher Hinsicht langer oder auch nur mittlerer Reichweite mit dem Willen zur politischen Gestaltung zur Meinungsführerschaft und zur Durchsetzung von Machtansprüchen, denn es geht letztendlich nur darum, fehlt jedoch gänzlich, wie ich meine!

Hier klafft eine eklatante Leerstelle.

Und spätestens hier, meine Damen und Herren, kommen wir um die zentrale Frage der Gleichberechtigung nicht herum, wollen wir eine Demokratie modernisieren, die es wahrhaftig verdiente das geographische Zentrum Europas schmücken zu dürfen.

Integration, meine Damen und Herren, kann nur gelingen, wenn in der Gesellschaft, insbesondere auch zwischen den Zugewanderten und der einheimischen Bevölkerung, ein Konsens darüber hergestellt wird, was unter Integration zu verstehen ist" und welche berechtigten Erwartungen sich daraus an die Aufnahmegesellschaft und die Zugewanderten ableiten.

Wichtigste Voraussetzung für Integration und Partizipation setzt meines Erachtens ein Gesellschaftsverständnis voraus, welches Zugewanderte durch faktische und rechtliche Sicherheit den Einheimischen gleichstellt und ihnen damit die Identifikation mit und die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft ermöglicht.

Integration verstehe ich nicht als einseitige Übernahme einer vorgefundenen Ordnung, sondern vielmehr als ständigen, dialogischen Prozess der gegenseitigen Verständigung über die gemeinsamen Grundlagen und Regeln des Zusammenlebens, in dem Zugewanderte wie Einheimische, gleichermaßen eingebunden sein sollten.

Dieser dialogische Prozess, meine Damen und Herren, ist meiner Auffassung nach, nicht oder noch nicht in gebotenem Maße in Gang gekommen, bedenkt man, dass die deutsche Immigrationsrealität bald so alt ist wie die Bundesrepublik selbst. Das Grundgesetz wurde 1949 ausgerufen, bald darauf 1955 wurden die ersten Anwerbeverträge mit Italien ratifiziert. Es sind gut 50 Jahre vergangen, ein halbes Jahrhundert, meine Damen und Herren.

Und, wo stehen wir heute?

    • Die von Arbeitslosigkeit und vor allem Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Ausländerinnen und Ausländer sind prozentual viel mehr als Deutsche,
    • sie leben immer noch in schlechteren Wohnungen,
    • sie führen immer noch zum Großteil die niederen Arbeiten aus und gehören dadurch immer noch zu den niedrigeren Einkommensschichten,
    • sie sind in den Führungsebenen immer noch die große Ausnahme,
    • sie haben immer noch die schlechteren Schulabschlüsse, obwohl hier geboren,
    • sie sind immer noch von ernst zu nehmenden Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen,
    • die Segregationsphänomäne treten verstärkt auf,
    • und, und, und.

Meine Damen und Herren, Sie sehen es gibt wirklich viel zu tun.

Ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und wünsche der heutigen Tagung noch einen guten Verlauf.

Corrado Di Benedetto
(Vorsitzender Kreisausländerbeirat Offenbach)
Vorgetragen im Römer, Frankfurt/Main am 3. November 2003