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Ansprache des stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisausländerbeirates Offenbach Tuna Firat zum Empfang "Miteinander im Gespräch"am 8.11.2009 im Kreishaus Dietzenbach

im Rahmen des 15-jährigen Bestehens des Kreisausländerbeirates Offenbach

Herausforderung und Perspektive so lautet der Titel meiner Ansprache.

Herausforderung kann zweierlei Bedeutung haben zum einen wird sie definiert als Auseinandersetzung mit einem potentiellen Gegner. Zum anderen bedeutet Herausforderung aber auch sich alles abzuverlangen im Hinblick auf ein verfolgtes Ziel. Ich denke, dass unsere Herausforderung die Gestaltung unserer Zukunft sein wird.

Die Diskussion in Deutschland um das Thema Integration und deren Zukunft hat vor allem in den letzten Jahren viele Gesichter angenommen. Aber unabhängig von dem allgemeinen Diskurs der dazu geführt wird, schadet es sicher nicht, das ein oder andere Mal einen realistischen Blick auf die von der Diskussion betroffenen Menschen zu werfen.

Bereits jetzt werden Akzente gesetzt, die das spätere Leben von heute jungen Menschen entscheidend bestimmen werden. Diese Akzente prägten uns, bestimmen unser Handeln heute noch und werden auch weiterhin unsere Zukunft prägen.

So war es bereits vor über 50 Jahren als die ersten Gastarbeiter kamen. Die Akzente die damals gesetzt wurden, bilden heute das Fundament für positive, aber auch negative Entwicklungen. Es liegt wohl in der Natur des Menschen aber wenn 2 Menschen miteinander kommunizieren ist das Missverständnis eventuell auch der Streit bereits vorprogrammiert.

Aber neben diesem menschlichen Defizit sind es vor allem die Einflüsse von außen, die diese emotionale Debatte forcieren und in ihrer Wirkung extrem verschärfen können. Die Reaktionen, die durch die öffentliche Diskussion über Integration hervorgerufen werden, sind in Ihrer Wirkung dabei keineswegs zu unterschätzen.

Davon sind sowohl die deutsche Mehrheitsgesellschaft als auch die Menschen mit ausländischem Hintergrund stark betroffen. Sicherlich ist die Integration von Menschen in die bestehende Mehrheitsgesellschaft ein unumgänglicher Weg. Allerdings muss diese Forderung auch von beidseitiger Ehrlichkeit und Respekt geprägt sein, damit das gegenüber dieser Forderung auch gerne nachkommt.

Während ein Blick auf den Status quo auf der einen Seite eine teils fehlende Bereitschaft zur Integration zeigt, zeigt sie auf der anderen Seite einen unverantwortlichen Umgang mit den von diesem Integrationsverlangen betroffenen Menschen. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Zunächst hatte sich im Zuge der Arbeiteranwerbungen in Deutschland niemand damit auseinandergesetzt, dass diese Menschen in Zukunft mit ihren Familien dauerhaft hier leben würden.

Die Entstehung billigen Wohnraums und die damit einhergehenden Wirkungen hatten in gewisser Weise auch eine örtliche Trennung von Deutschen und Nichtdeutschen zur Folge, deren Wirkungen empfinden wir mancherorts noch heute in den so genannten Problemvierteln. Aber auch wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre ansieht scheint nicht viel Wert auf eine lebenswerte Zukunft gelegt zu werden. So scheint es, dass sich trotz einer sich sowohl in objektiv wahrnehmbarer als auch in subjektiv empfindbarer Weise manifestierenden Integrationsproblematik, die Menschen aufeinander verschärft reagieren.

Die kurzsichtige Bereitschaft regierender Politiker, den Menschen aus der Öffentlichkeit und vor allem der Medien aus der zu integrierenden Minderheit ein Gegenüber einen potentiellen Kontrahent zu formen ist für die Entwicklung auf diesem Gebiet mehr als fatal.

Nur einige Beispiele hierzu: Erst kürzlich hatte sich der nordrheinwestfälische Verfassungsgerichtspräsident Michael Bertrams generell gegen Muslime im staatlichen Schuldienst ausgesprochen weil sie "in radikalem Widerspruch zum Grundgesetz stünden".

Wenn auf der einen Seite die Würde eines jeden Menschen ohne Unterscheidung unantastbar sein soll muss man sich doch ernstlich fragen, wie denn ein Mensch nur allein wegen seines Glaubens als Ganzes im Widerspruch zum Grundgesetz stehen kann. Diese sehr kritische Frage will so auch gestellt sein, denn das gravierende Problem dieser Äußerung ist das keine Beschränkung mehr auf das Kopftuch als islamisches Symbol als solches einhergeht die Eignung einer gesamten Person wird hier komplett in Frage gestellt.

Das ist der wohl der eigentliche Widerspruch zum Grundgesetz.

Oder

Wenn zum Beispiel der ehemalige deutsche Innenminister an einer der Islam-Konferenzen teilnimmt und seine Teilnahme als Handlung „im Rahmen der Terrorprävention“ versteht, könnte einem schon die Luft wegbleiben. Begriffe wie Islamophobie entstehen wie es scheint nicht ganz ohne Grund.

Das Thema des Bundesbankchefs muss hier wohl nicht im Detail besprochen werden. Aber eins muss man feststellen meine Damen und Herren alle diese und ähnliche Äußerungen verschärfen die Problematik ungemein und zeigen eine große Unverantwortlichkeit. Noch viel schlimmer ist allerdings, dass solche Äußerungen nicht zur Genüge als problematisch dargestellt werden. Vielmehr werden sie meist einfach im Raum stehen gelassen und suggerieren der Mehrheit der Gesellschaft, dass solche Äußerungen in Ordnung seien. Im Fall des Bundesbankchefs nützt das Wegnehmen eines Aufgabenbereichs nicht besonders. Dann kümmert sich eben jemand anderes um das Bargeldressort.

Allerdings entsteht das Bild ein solches Verhalten sei in Deutschland hinnehmbar. Ist es allerdings nicht, es ist vielmehr das Ergebnis einer fatalen Fehlentwicklung und ein gefährliches Spiel mit Emotionen. Emotionen auf Seiten der deutschen und Emotionen auf Seiten der nichtdeutschen Bevölkerung. Das haben auch die Reaktionen hierauf gezeigt.

Dass der Bundesbankchef selbst jahrelang über die Finanzen mitentschieden hat, die dem Integrationsprozess vorenthalten wurden kann hierbei auch ruhig angesprochen werden. Schon wären wir beim Thema Finanzen. Dass Integrationsprozesse gewisse Aufwendungen bedürfen müsste jedem klar sein. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass hier einiges hätte besser gemacht werden können. Die momentane finanzielle Situation lässt mich aber nicht wesentlich erleichterter in die Zukunft blicken. Allein in Hessen fehlt es in einem nicht unerheblichen Rahmen an finanziellen Mitteln. Die Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung wird über die Schlüsselzuweisungen den Ländern immer mehr finanzielle Ausfälle bescheren. Es bleibt abzuwarten welche Konsequenzen sich für den Integrationsprozess herauskristallisieren werden. Auch Wir im Kreis Offenbach werden unseren finanziellen Kantenschlag abbekommen, davon bin ich absolut überzeugt.

Die doch so aufmerksamen Medien, sind dann manchmal doch nicht so aufmerksam, wenn es um solche Themen geht. Um Themen die wirklich entscheidend sind auf dem Weg zu einer gelungenen Integration.

Als wichtiger Faktor in der Bildung der öffentlichen Meinung kommen sie meist erst in Bewegung wenn ausländische Jugendliche randalieren oder sonst irgendwelche außergewöhnlichen Themen im Raum stehen. Über die Sachlichkeit lässt sich heftigst streiten. Zu schnell sind Gruppen stigmatisiert zu schnell Forderungen heraus posaunt die in Ihrer Wirkung nicht überschaut wurden. Zu schnell werden Barrikaden gebaut an Stellen wo keine sind.

So verhält es sich auch mit der Frage um Zivilcourage. Nachdem Dominik Brunner durch seinen zweifellos mutigen Einsatz ums Leben kam; wurde der Ruf nach mehr Zivilcourage laut. Genauso wie die Pönalisierung von Gewalt im öffentlichen Raum vermehrt verlangt wird. Dem kann man ohne Abstriche zustimmen. Allerdings lassen die Medien und damit auch die Öffentlichkeit alle anderen Opfer und couragierten Helfer wegfallen, die es nicht bis in die Medien schaffen. Ihrer gibt es sicher nicht wenige und auch sie hätten diese Aufmerksamkeit verdient. Das was mir am meisten dabei missfällt ist das hierdurch gezeichnete Bild einer nicht-couragierten Gesellschaft. Verschärft gerade dieses doch die Täter-Opfer Rollenverteilung.

Entgegen dem Bild der Medien leben wir durchaus in einer lebenswerten Umgebung, mit ihren schönen Seiten. Und auch der mit Argwohn zu beobachtende Drang der Politik immer mehr Kontrolle über die Gesellschaft auszuüben wird darüber nicht hinwegtäuschen. Natürlich gibt es Probleme, aber sie sind nicht derart tragisch, dass man nur schwarz-weiß denken könnte. Vor allem darf man es nicht tun.

Denn während vor allem die türkischstämmigen Menschen als Problemkind des Integrationsprozesses betrachtet werden, wächst in Deutschland eine ganz andere Generation von Menschen heran. In 20 bis 30 Jahren wird die Herkunft dieser Generation kein Thema mehr sein; vielzu groß sind bereits jetzt die Probleme die sich in evidenter Weise für die Zukunft abzeichnen. Und glauben Sie mir, sie sind fernab von jeglicher Rollenverteilung. Täter Opfer - deutsch - nichtdeutsch! Alles ohne Belang. Die nächste Generation von Menschen in Deutschland, wird neben den finanziellen Altlasten der vorherigen Generationen, die durch die jetzige Wirtschaftskrise in noch nicht absehbarer Weise verschärft werden, noch die Renten der jetzigen Generation schultern müssen. Zudem müsste sie sich auch noch selbst finanzieren können.

Das alles setzt natürlich voraus, dass sie die entsprechende Arbeit hierzu finden wird. Betrachtet man allerdings die Entwicklung in diesem Bereich und vor Allem die Entwicklung des Bildungssystems wird das alles sehr schnell sehr fraglich. In einem Schulsystem in dem vor allem Selektion betrieben wird, verschärft sich zudem noch ein weiterer Aspekt. Die Trennung zwischen deutschen und nichtdeutschen Schülern. Die vieldiskutierte Studie aus Berlin über ungenutzte Potentiale, attestierte ausdrücklich den türkischen Jugendlichen eine schlechte Bildung und Bildungseinstellung.

Auf der anderen Seite übte der UNO Schulinspektor Muñoz harsche Kritik an der deutschen Schulpolitik. Er legte es "eindringlich nahe", das "extrem selektive" Schulsystem zu überdenken. Die systematische Benachteiligung von Schülern ausländischer Herkunft wurde ausdrücklich angesprochen und danach leider totgeschwiegen.

Aber das ist nur die eine Seite der Schülerschaft. Auf der anderen gibt es die deutschen Schüler, welche durch die Last des elitären Selektierens immer mehr scheitern und in diesem Geflecht zerrieben werden. Der Begriff der „bildungsfremden Deutschen“ ist hier nur Synonym für eine Fehlentwicklung die Ihresgleichen sucht. Während grammatikalische Schwächen früher meist mit nichtdeutschen Schülern in Verbindung gebracht wurden, sind es heute deutsche Schüler mit „Hartz IV“ als Zukunftsperspektive. Zu sehr stehen sie als Kinder von einkommensschwachen Familien am Rande des dreigliedrigen Schulsystems und der Gesellschaft.

Der Wunsch nach einer gebildeten Elite rückt indes immer mehr in weite Ferne. Im Inland werden den Schülern die Wege zu den Hochschulen immer mehr mit Hürden wie NC’s und Studiengebühren verbaut. Momentan studieren alleine in Österreich rund 18.000 Studenten aus Deutschland um dem NC zu entgehen. Was die Schüler mit ausländischer Herkunft betrifft, schaffen es immer mehr sich eine gute Bildung hart zu erarbeiten.

Auch wenn es in der Tat zahlenmäßig immer noch viel zu wenige sind. Einen Anreiz in Deutschland zu arbeiten haben wenige. Zu groß ist das Gefühl hier nicht wirklich dazuzugehören.

Oder würden sie nicht auch lieber als Rechtsanwalt mit mehrsprachiger Kompetenz in einer internationalen Großkanzlei in Istanbul mit Blick auf den Bosporus arbeiten als irgendwo in Deutschland einfach nur der Türke zu sein? Glauben Sie mir meine Damen und Herren…der deutsche Pass ändert hieran leider auch nichts. Zu wenig hat sich in den letzten Jahren in den Köpfen der Menschen bewegt.

Woher sollen die Experten von Morgen denn kommen? Aus dem Ausland kommt auch kaum noch jemand hierher weil er im internationalen Vergleich zu schlecht bezahlt wird auf dem deutschen Markt und mit Zuwanderungsproblemen nur so überhäuft wird. Außerdem ist die Zuwanderung, aus der man eventuell Potentiale schöpfen könnte, in Deutschland momentan dermaßen begrenzt, dass sich Flüchtlingsvereine andere inhaltliche Aufgaben geben müssen.

Ist das unser Verständnis einer zukunftsorientierten, wirtschaftlich stabilen Gesellschaft? Vor Allem das Gefühl der Menschen mit ausländischem Hintergrund spielt eine entscheidende Rolle. Exemplarisch genannt werden kann hier die demografische Entwicklung im Kreis Offenbach. In 20 bis 25 Jahren werden knapp 60 Prozent der Menschen unter 25 Jahren einen migrationsspezifischen Hintergrund haben.

All die zuvor genannten Punkte, wie Äußerungen von Politikern, der Medien und die damit einhergehende Prägung des öffentlichen Meinungsbildes gibt einer neuen Generation von Menschen bereits jetzt das Gefühl, dass sie nicht ganz dazugehören. Ich kann das in gewissen Punkten nachempfinden. Ich bin hier geboren, ich bin in Dieburg geboren quasi ein gebürtiger Hesse und kenne die Heimat meiner Eltern aus dem Urlaub. Selbst wenn ich beide Sprachen spreche, denke ich deutsch. Und obwohl ich es gerne täte, fällt mir die Nennung des Begriffs Heimat manchmal schwer. Weshalb? Ich bin hier zur Schule gegangen in Rödermark habe das Abitur auf dem Gymnasium in Dreieich gemacht in Frankfurt Jura studiert und bin jetzt dort Rechtsanwalt.

Aber wenn man im Laufe seines Lebens immer wieder nur als positive Ausnahme behandelt wird, immer wieder als einer von wenigen behandelt wird, wenn immer wieder auch heute noch versucht wird eine passende Schublade zu finden in die man mich stecken könnte, fühlt man sich nicht wirklich zuhause.

Das Leben mit zwei Identitäten kann ja nicht Ziel des Integrationsprozesses sein. Manchmal Deutscher, manchmal Türke.In der Medizin nennt man diesen Zustand Schizophrenie... es ist eine Krankheit.

Dass dieser Zustand so aufrechterhalten wird, kann meiner Meinung nach nur auf eine Art verhindert werden. Lassen Sie mich hierzu eine kurze Anekdote aus meinem eigenen Leben erzählen...

Nächstes Jahr werde ich meine Verlobte heiraten. Im Vorfeld dieser Entwicklung kam meine Verlobte als Fremde in unsere Familie. Zwar auch aus der Türkei auch türkischsprechend, mit den selben Werten die ihr Leben bestimmen, aber eben doch fremd. Jemand anderes aus einer anderen Familie. Auf die etwas kurzsinnige Frage aus unserem Umfeld, wie sich meine Mutter mit einer „fremden“ Schwiegertochter arrangieren werde antwortete meine Mutter sehr gelassen:
„Dieses Mädchen ist ab jetzt auch mein Kind - wenn ich alle meine Kinder mit Liebe umarme... ohne eine Grenze zwischen ihnen zu ziehen…werde ich von ihnen mit grenzenlosem Respekt beschenkt!“

Es wird Zeit als Gesellschaft unserer Verantwortung nachzukommen, lassen Sie uns alle unsere Kinder umarmen, denn wie meine Mutter schon immer sagte...
“...Kinder kommen nicht böse auf die Welt, es gibt keine schlechten Kinder,...nur schlechte Eltern!“

Tuna Firat
Stellvertretender Vorsitzenden
Dietzenbach, den 8. November 2009