Jungtier in Not
Der Frühling steht vor der Tür. Das ist die Zeit, in der viele Wildtiere ihre Jungen bekommen oder großziehen. Doch was tun, wenn man ein Jungtier in Not wähnt. Viele Tierfreunde haben beim Anblick scheinbar hilfloser Tierbabys den Impuls, unbedingt eingreifen zu wollen – aber nur in den wenigsten Fällen benötigt der Nachwuchs auch tatsächlich Hilfe! Deshalb gilt: Im Zweifel sollte man sich besser zurückziehen oder, falls möglich, die Situation über einen längeren Zeitraum aus sicherer Entfernung beobachten.
Junge Rehe oder Feldhasen etwa liegen geduckt und alleine im Gras einer Wiese oder am Waldrand. Sie erwecken so im ersten Moment den Eindruck, als wären sie von ihrer Mutter einfach verlassen worden. Dem ist aber in den seltensten Fällen so. Die Jungtiere verhalten sich vielmehr regungslos, um nicht von einem Fuchs oder anderen Feinden entdeckt zu werden. Sie verstecken sich und versuchen, sich unsichtbar zu machen. Die Muttertiere lassen ihren Nachwuchs also allein, um ihn zu schützen. Denn die Jungtiere haben im Gegensatz zu den älteren Rehen noch keinen wahrnehmbaren Eigengeruch, den Raubtiere wittern könnten. Die Mutter befindet sich in der Regel auf Nahrungssuche und kommt regelmäßig vorbei, um sich um ihr Kitz zu kümmern und es zu säugen. Solange sich jedoch Menschen oder Hunde in der Nähe ihres Kitzes aufhalten, bleibt sie für Spaziergänger lieber unsichtbar, um ihr Junges nicht zu verraten.
Aus ähnlichen Gründen lassen auch Feldhasen ihren Nachwuchs allein. Sie kommen nur ein- bis zweimal pro Tag zu den kleinen Hasen, um sie zu säugen. Auch Fuchswelpen sollte man nicht voreilig mitnehmen. Häufig befindet sich auch hier das Muttertier in der Nähe. Bevor man einem Fuchswelpen helfen will, muss also erst ganz sicher sein, dass er sich wirklich in Not befindet. Zudem ist hier stets Vorsicht geboten. Denn Füchse können Krankheiten auf den Menschen übertragen.
Genau hinsehen sollte man auch bei kleinen Vögeln, die man in Schwierigkeiten wähnt. Viele Jungvögel verlassen ihr Nest bereits, bevor sich ihr Gefieder vollständig ausgebildet. Auch hier kann der Schein also trügen. Enten, Gänsen oder Schwäne etwa werden von ihren Eltern ganz bewusst über ein bestimmtes Areal verteilt, damit Fressfeinde nicht alle Jungtiere auf einmal finden und reißen. Wer auf eines dieser Tiere stößt, braucht daher nicht besorgt sein. Bei Vögeln, die Nester bauen, wiederum findet eine sogenannte „Ästlingsphase“ statt. In diesem Zeitraum trainieren die Tiere außerhalb des Nestes ihre Flugfähigkeit und versuchen auf eigene Faust Nahrung zu finden. Bei drohender Gefahr verhalten sich die kleinen Vögel völlig still, ziehen sich in Verstecke wie eine dichte Hecke zurück und vertrauen auf ihr unauffällig gefärbtes Gefieder sowie die Tatsache, dass sie einen anderen Geruch als ihre ausgewachsenen Artgenossen verströmen.
Beim Auffinden von kranken oder verletzten Tieren ist dagegen Hilfe notwendig und sinnvoll. Das gleiche gilt, wenn Gefahr droht; etwa wenn eine Wiese, in der ein Kitz liegt, gemäht werden soll. Doch Achtung: Gerade bei Rehkitzen, Eichhörnchen, Hasen oder jungen Füchsen sollte man die Jungtiere auf keinen Fall mit bloßen Händen anfassen. Die menschliche Witterung könnte dazu führen, dass die Muttertiere die Jungen nicht mehr annehmen und verstoßen. Lässt sich der direkte Hautkontakt nicht vermeiden, sollte man die Tiere anschließend mit einem Grasbüschel oder Heu abreiben, um den menschlichen Geruch so gut es nur geht zu entfernen. Wenn möglich sollte man das Jungtier nach dem Umsetzen eine Weile aus einiger Entfernung im Blick behalten, um sicher zu sein, dass es von seiner Mutter wieder versorgt wird.
Bei Vögeln ist diese Maßnahme nicht nötig, da sich die Eltern bei der Betreuung ihres Nachwuchses nicht von Gerüchen irritieren lassen. Junge Vögel kann man also, vorausgesetzt es handelt sich um Nestlinge, ohne weiteres in ihr Nest zurücksetzen, wenn man sie hilflos am Boden findet.
Ist ein Tier offensichtlich verletzt, sollte man es umgehend zum Tierarzt, ins Tierheim oder zur nächsten Wildtieraufnahmestation beziehungsweise zu einer Aufnahmestation für Wildvögel bringen. Dabei sollte man das Tier so wenig Stress wie nur irgend möglich aussetzen und es beispielsweise in einem dunklen Karton transportieren. Adressen von staatlich anerkannten Auffangstationen sind beim Regierungspräsidium Darmstadt unter Telefon 06151 12-0 erhältlich.
Viele Wildtiere fallen unter das Jagdrecht. Hierzu gehören unter anderem Füchse, Rehe, Wildschweine, Hasen, Waschbären, Marder, Dachse sowie fast alle Greifvögel und Falken. Will man ein solches Jungtier mitnehmen, sieht das Gesetz vor, den zuständigen Jäger oder die örtliche Polizeidienststelle darüber zu informieren. Ein Jäger oder die Polizei werden das Tier in der Regel von seiner Verletzung erlösen.
Was kann man sonst tun? Jeder wahre Naturfreund sollte sich während der Setz- und Brutzeit bei Wanderungen rücksichtsvoll und verantwortungsbewusst verhalten, leise sein und nicht durch das Dickicht oder hohe Wiesen laufen. Reiter sollten die gekennzeichneten Wege nicht verlassen. Hunde gehören beim Spaziergang unbedingt an die Leine. Denn freilaufende Hunde schrecken Rehkitze oder junge Hasen auf, so dass sie später von ihrer Mutter möglicherweise nicht wiedergefunden werden. Aufgescheuchte Muttertiere reagieren zudem oftmals panisch, rennen über Straßen und werden so Opfer von Verkehrsunfällen. Verwaiste Jungtiere verhungern dann qualvoll. Vogeleltern verlassen bei Gefahr oder Lärm für eine Weile ihre Nester und können dadurch ihre Eier beziehungsweise den zurückgelassenen Nachwuchs nicht mehr effektiv vor dem Auskühlen schützen