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02.11.2010

Wirtschaftsplan 2011 - Die Folgen der Finanzkrise

Kaum Einfluss auf die Defizite möglich

Auch der Wirtschaftsplan 2011 ist im Kreis Offenbach von den Konsequenzen aus der Finanzkrise geprägt. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft immer weiter auseinander und dies mittlerweile im dreistelligen Millionenbereich. „Das aktuelle Defizit beziffert sich auf 107,4 Millionen Euro“, präsentiert der Kämmerer, Kreisbeigeordneter Carsten Müller, gemeinsam mit Landrat Oliver Quilling und Erster Kreisbeigeordneter Claudia Jäger die Zahlen. „Damit steigt der Fehlbetrag im Vergleich zum Vorjahr um 44,4 Millionen Euro, das sind 70,4 Prozent. Dieser traurige Rekord nimmt dem Kreis so gut wie jede Möglichkeit des Gestaltens. Und auch die Tatsache, dass keine kommunale Gebietskörperschaft ohne Defizit dasteht, kann nicht wirklich trösten. Wenn der Deutsche Landkreistag feststellt, dass Städte, Kreise und Gemeinden von 2008 bis 2010 einen „finanziellen Absturz“ in Höhe von 22,5 Milliarden Euro verkraften müssen, dann spricht diese Zahl für sich. Der kommunale Finanzausgleich in unserem Bundesland befindet sich in völliger Schieflage und eine grundsätzliche Neustrukturierung ist mehr als überfällig. Darum haben wir uns auch an der Verfassungsklage beteiligt, die vom hessischen Landkreistag angekündigt wurde.“

Im Kreis Offenbach stehen im kommenden Jahr den Erträgen in Höhe von 410,5 Millionen Euro (2010: 436,6 Millionen Euro) Aufwendungen in einer Höhe von 517,9 Millionen Euro (2010: 499,6 Millionen Euro) gegenüber. Die Erträge sinken also um 6 Prozent, während die Aufwendungen um 3,7 Prozent steigen. „Die Ursachen für diese finanzielle Entwicklung sind immer die selben und der Kreis hat so gut wie keine Möglichkeiten steuernd einzugreifen“, so Carsten Müller, „dies kann ich im Chor mit allen anderen Kämmerer-Kollegen immer nur gebetsmühlenartig wiederholen.“
Im Einzelnen heißt das für die Erträge:

    1. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage Ende 2008, 2009 und auch im ersten Halbjahr 2010 führt das geringe Aufkommen der Gewerbesteuer in den 13 kreisangehörigen Städten und Gemeinden dazu, dass bei gleich bleibendem Hebesatz von 57,5 Punkten – der Hebesatz wurde erst in diesem Jahr um 1,5 Prozentpunkte durch die Ersatzvornahme des Regierungspräsidiums in Darmstadt erhöht - die Einnahmen aus der Kreis- und Schulumlage um 19,4 Millionen auf 191,5 Millionen sinken. Das ist ein Rückgang um 9,2 Prozent.
    2. Mit der Neustrukturierung des Finanzausgleiches auf der Landesebene steigen die Einnahmen aus den Schlüsselzuweisungen um 2,1 Millionen Euro, das entspricht 10,8 Prozent. Allerdings entfallen die Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer in geschätzter Höhe von 9,5 Millionen Euro und werden durch die Anhebung um 2,1 Millionen Euro bei weitem nicht substituiert.

Zu den Hauptursachen für die erhöhten Aufwendungen gehören:

    1. Die Personalkosten steigen trotz Abbaus von 7,5 Planstellen um 1,4 Millionen Euro auf 41,1 Millionen Euro. Dafür verantwortlich sind unter anderem die tariflichen Vereinbarungen, die mit 0,75 Millionen Euro zu Buche schlagen.
    2. Für die Versorgungsaufwendungen müssen eine Million Euro mehr kalkuliert werden, das sind im Jahr 2011 5,4 Millionen Euro.
    3. Für Sach- und Dienstleistungen werden im kommenden Jahr 2,5 Millionen Euro mehr kalkuliert. Damit beziffert sich dieser Kostenblock auf 95,1 Millionen Euro. Dies ist ein moderater Anstieg, denn er bewegt sich auf dem Niveau der allgemeinen Preissteigerungsrate.  
    4. Die Umlage für den Landeswohlfahrtsverband steigt um 1,7 Millionen Euro auf 55,7 Millionen Euro. Das sind 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr.
    5. 3,9 Millionen Euro müssen zusätzlich für die sozialen Transferaufwendungen aufgebracht werden. Damit steigt dieser Ansatz um 1,8 Prozent auf 226,8 Millionen Euro, auch dies ist mit Blick auf die Fallzahlen eine relativ niedrige Quote.
    6. Der erhöhte Finanzbedarf muss über zusätzliche Kredite finanziert werden, sodass für die Zinszahlungen 8,5 Millionen Euro mehr aufgebracht werden müssen. Das ist eine Steigerung von 26,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
    7. Das Volumen der Kassenkredite wird um 40 Prozent, das sind 140 Millionen Euro auf 490 Millionen Euro erhöht. Darin enthalten ist eine Reserve von etwa 25,5 Millionen Euro, um mögliche Liquiditätsengpässe mit Blick auf die notwendige vorläufige Haushaltsführung zu Beginn des Jahres 2012 zu vermeiden.

„Darüber hinaus folgen wir“, ergänzt der Kämmerer, „dem Primat der Haushaltsklarheit. Darum stellen wir das HLL getrennt dar. Die Aufwendungen betragen 2011 10,4 Millionen gegenüber 7,4 Millionen Euro in 2010. Bei der Differenz handelt es sich allerdings nicht um Mehrkosten, 2,9 Millionen Euro wurden nur verursachergerecht zugeordnet. Außerdem wurden die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung an die tatsächliche Entwicklung angepasst. Sie belaufen sich auf 250.000 Euro (2010 1,1 Millionen Euro).“
Im Finanzhaushalt erhöhen sich die investiven Einzahlungen um 0,7 Millionen Euro (9,2 Prozent) auf insgesamt 8,5 Millionen Euro. Die Auszahlungen steigen um 1,9 Millionen Euro (5,9 Prozent) auf insgesamt 34,6 Millionen Euro. Die zusätzliche investive Kreditaufnahme beträgt insgesamt 26,1 Millionen Euro, das sind 1,2 Millionen Euro oder 4,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Nettoneuverschuldung sinkt um 0,7 Millionen Euro auf 8,9 Millionen Euro. Insgesamt beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung 1.136 Euro pro Kopf. Das sind 100 Euro mehr als im Durchschnitt der Bundesrepublik (1.036 Euro).

Obwohl der Regierungspräsident bereits 2010 den Haushalt nur unter dem Vorbehalt genehmigt hatte, die Personalkosten auf dem Niveau von 2009 zu deckeln (56 Millionen Euro für alle Beschäftigten inklusive Eigenbetrieb Rettungsdienst und AöR), kann dieser Wunsch auch 2011 nicht erfüllt werden. „Wir müssen“, erklärt Personaldezernent Oliver Quilling, „eine Besoldungsanpassung für die Beamtenbezüge in Höhe von linear 3 Prozent kalkulieren. Außerdem hat der Tarifabschluss 2010 und 2011 mit einer Erhöhung am 01. Januar 2011 von 0,6 Prozent und einer weiteren Erhöhung zum 01. August 2011 um 0,5 Prozent sowie eine Einmahlzahlung in Höhe von 240 Euro entsprechende finanzielle Auswirkungen. Aufgrund von sorgfältigen Analysen sind personelle Aufstockungen im Allgemeinen Sozialen Dienst und die Aufstockung der Stundenkontingente in den Schulsekretariaten unabweisbare Notwendigkeiten. Daraus resultieren Mehrauszahlungen von 1,4 Millionen Euro, alles andere wäre Utopie.“

Darüber hinaus muss der Kreis 2011 die Personalkosten für fünf so genannte Vollzeitäquivalente zur Durchführung der Volkszählung vorstrecken. „Auch wenn hier Kostendeckung zugesagt wurde“, so der Landrat, „gehen wir erst einmal in Vorleistung. Ungeachtet dessen ist es aber unser Ziel, vor allem auch durch verstärkte interkommunale Zusammenarbeit, Ressourcen zu bündeln und Synergieeffekte zu erzielen. So wollen wir beispielsweise im kommenden Jahr das Projekt D115 in Zusammenarbeit mit Frankfurt und Offenbach realisieren.“

Die kritische Haushaltslage führt auch dazu, dass der Kreis selbst nur noch nur wenige eigene Projekte auf den Weg bringt. „Nachdem wir bereits in der Vergangenheit unsere Hausaufgaben bei der Schulsanierung und dem Schulneubau gemacht haben“, erklärt die zuständige Erste Kreisbeigeordnete Claudia Jäger, „setzen wir derzeit das Konjunkturprogramm mit einem geplanten Gesamtvolumen von rund 54 Millionen Euro um. Im Zuge der Ausführung haben sich für uns Mehrkosten von etwa 4,3 Millionen Euro ergeben, die nun im Wirtschaftsplan 2011 veranschlagt wurden. Dies ist bereits im Nachtrag angekündigt worden. Außerdem haben wir die Ersatzmaßnahmen aus dem Konjunkturprogramm mit den Planungskosten in den Wirtschaftsplan aufgenommen. Für die Umsetzung weiterer Baumaßnahmen wie beispielsweise an der Wallschule Langen, der Ricarda-Huch-Schule, der Karl-Nahrgang-Schule und der Selma-Lagerlöf-Schule stehen 1,1 Millionen Euro zur Verfügung.“

Darüber hinaus stehen zwei größere Straßenbauprojekte auf dem Programm. Das eine ist der Bau der Unterführung an der Rodau in Mühlheim mit einem Volumen von 450.000 Euro und das andere ist die notwendige Erneuerung der Straßendecke an der K173 in Dreieich-Götzenhain die etwa 600.000 Euro kostet. „Positive Erwartungen“, erläutert Claudia Jäger, „haben wir für anstehende Grundstückverkäufe. Derzeit sind wir in Verhandlungen beispielsweise über Teilflächen, der Albert-Schweitzer Schule, Dependance Buchenbusch in Neu-Isenburg. Insgesamt rechnen wir mit etwa 2,9 Millionen Euro Einnahmen aus Grundstücksverkäufen.“

„Der Sozialbereich, und das ist für mich als Kämmerer natürlich bitter“, erklärt Carsten Müller, „besteht fast ausschließlich aus Pflichtleistungen. Schon in diesem Jahr mussten wir die geplante Haushaltssperre von 1,5 Millionen Euro bei den Kosten der Unterkunft wieder aufheben, weil der Bedarf sich anders entwickelt hat als vorhergesehen. Im Haushaltsbegleitgesetz 2011 des Bundes ist eine Reduzierung der Wohngeldausgaben um 40 Prozent beabsichtigt. Demgegenüber wird das Bildungspaket, ebenfalls auf Bundesebene beschlossen, die Kommunen mit insgesamt 200 Millionen Euro zusätzlich belasten. Darüber hinaus sind die Daten am Arbeitsmarkt zwar so gut wie seit 20 Jahren nicht mehr, aber die Zahl der Hilfeempfänger wird nicht weniger. Allein die wachsende Zahl von „Aufstockern“ in einer Größenordnung von voraussichtlich 10 Prozent bedeutet für den Haushalt 2011 eine Zusatzbelastung von 4 Millionen Euro. Die Änderung im Sozialgesetz, keine Rentenbeiträge mehr für Hartz-IV Empfänger zu zahlen, wird geradewegs in die Altersarmut von morgen führen. Weitere Wermutstropfen sind die angekündigten Kürzungen des Bundes im Etat des SGB II. Wir müssen jetzt schon konkret mit einer geplanten Reduzierung der Eingliederungsleistungen um 26 Prozent, das sind 4,5 Millionen Euro, rechnen. Damit ist die flächendeckende Aktivierung von Arbeitslosen erheblich gefährdet.“

Natürlich, so sieht es der Gesetzgeber vor, wird der Wirtschaftsplan 2011 von einer Fortschreibung des Haushaltssicherungskonzeptes 2011 bis 2014 begleitet, gemäß Paragraf 92 Absatz 4 HGO. „Auch wenn die kommunalen Entscheidungsträger finanziell mittlerweile fast einen Null-Handlungsspielraum haben“, erklärt Carsten Müller dazu, „darf Haushaltskonsolidierung nicht ad acta gelegt werden. Allerdings sind auch die Sparspielräume mittlerweile denkbar gering.“ Seit Beginn der Konsolidierung 2005 ist der Haushalt insgesamt um eine Konsolidierungsmasse von 58 Millionen Euro entlastet worden, allein im ersten Jahr 2005 wurden allerdings schon 19,6 Millionen Euro realisiert. Im Jahr 2011 werden es mit viel gutem Willen noch maximal eine Million Euro sein. Dazu, das muss allerdings gesagt werden, und das sieht man am besten im Bereich Zinsen und Tilgung, hat die Haushaltskonsolidierung der vergangenen Jahre in diesem Bereich beispielsweise dazu beigetragen, Jahr für Jahr durchschnittlich etwa 450.000 Euro an Zinsen einzusparen.

„Darum nutzen wir auch konsequent das Instrument der Budgetgespräche“, ergänzt der Kämmerer, „um weitere Sparmöglichkeiten zu sondieren. Hier bewegen wir uns allerdings nur im Nischenbereich und ringen manchmal um wenige Euro. Geplante Maßnahmen für das kommende Jahr sind unter anderem die Einrichtung eines Betriebs gewerblicher Art für Fotovoltaikanlagen, um die Vorsteuerabzugsfähigkeit zu nutzen, eine Ablaufuntersuchung im Bereich Finanzen, die Umsetzung des Projekts „Wirkungsorientierte Kennzahlen“ im Bereich Jugend und die Rücküberführung des Dreieichmuseums. Außerdem wurde eine interfraktionelle Arbeitsgruppe Haushaltssicherung gegründet, deren Arbeitsergebnisse im kommenden Jahr in die Haushaltssicherung einfließen werden.“
„Konsequente Haushaltskonsolidierung kann immer noch einen wichtigen Beitrag leisten, um die Kreisfinanzen mittelfristig zu stabilisieren. Sie kann aber nicht die tatsächlich chronische Unterfinanzierung der Kommunen ausgleichen. Deshalb, und diese Forderung können wir alle immer nur gebetsmühlenartig stellen, müssen die kommunalen Finanzen dringend neu strukturiert werden. Ansonsten ist und bleibt die kommunale Selbstverwaltung Makulatur. „Natürlich hoffen wir alle mit Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten“, so Oliver Quilling, Carsten Müller und Claudia Jäger abschließend, „dass die mittelfristige Finanzplanung möglicherweise besser ist, als derzeit von uns angenommen. Aber auch eine verbesserte Einnahmesituation wird nicht dazu führen, dass das Defizit 2012 sinkt. Hier rechnen wir über die mittelfristige Finanzplanung mit einem Defizit von 109,4 Millionen Euro. Kassen- und langfristige Kredite werden dann vermutlich in der Summe die Milliardengrenze überschreiten. Auch wenn es Licht am Horizont gibt, wollen wir bei der Devise bleiben, dass sich Wirtschaftspläne des Kreises künftig grundsätzlich nur an der Ist-Situation orientieren, um eine reelle und transparente Entscheidungsgrundlage für die politischen Gremien zu liefern.“