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30.06.2015

Leitbild Mobilität wird zunehmend konkreter

Der Prozess zur Entwicklung des Leitbildes Mobilität nähert sich dem Abschluss. Bevor das strategische Papier gegen Ende des Jahres einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden soll, gab es am 25. Juni das vierte und damit vorletzte Mobilitätsforum, in dem noch einmal letzte Stimmungen und Ideen eingefangen und aufgenommen werden sollen, um das Leitbild abzurunden. „Im Laufe des nun zweijährigen Prozesses hat sich herauskristallisiert“, so Landrat Oliver Quilling und Erste Kreisbeigeordnete Claudia Jäger, „dass das Thema Mobilität weit mehr verlangt als nur das Nachdenken über Verkehrsmittel und Verkehrswege. Gefordert ist ein ganzheitlicher Ansatz, der besonders auch die rasante Entwicklung neuer Technologien einbeziehen muss.“

Wie stark das Thema Mobilität mittlerweile fast alle Lebensbereiche tangiert oder von diesen tangiert wird, dokumentierte sich in einem Kurzreferat von Studierenden der Hochschule Darmstadt, die unter Leitung von Professor Dr. Jürgen Follmann dieses Projekt nun von Beginn an begleiten. „Wenn wir heute über Mobilität sprechen“, so Professor Dr. Follmann, „genügt ein Blick in die jüngere Vergangenheit, um schnell zu erkennen, dass wir uns mit gravierenden Veränderungen auseinandersetzen müssen. Hier denke ich beispielsweise an zunehmend autonome Verkehrsmittel, die bis 2050 den Markt erobert haben könnten.“ Der Leitbildprozess ist außerdem so angelegt, dass alle relevanten Institutionen eingeladen waren, sich daran zu beteiligten; und auch zur vierten Sitzung waren wieder annähernd 100 Vertreterinnen und Vertreter von Kommunen, Institutionen und Parteien gekommen.

„Es ist ganz wichtig“, so die Erste Kreisbeigeordnete Claudia Jäger, die gleichzeitig auch Aufsichtsratsvorsitzende der Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach mbH ist, „dass wir alle Menschen mitnehmen, denn Mobilität betrifft tatsächlich jeden. Das war auch einstimmiges Ergebnis in dem sogenannten World-Café, bei dem zu unterschiedlichen Themen die Meinungen abgefragt wurden. Im Rahmen des Leitbildprozesses wurden in den vergangenen Jahren viele Fakten zusammengetragen, die aus der Kreisbereisung oder durch verschiedene Experimente und Versuche in den Städten und Gemeinden gewonnen wurden.

Da ging es unter anderem um:

    • die Anbindung des Flughafens Frankfurt an den Radverkehr,
    • die Radschnellverbindung Darmstadt – Frankfurt am Main,
    • Fahrradstraßen als neue Infrastrukturelemente in Langen und in Seligenstadt, die Verknüpfung von Radverkehr und öffentlichem Verkehr durch sichere und auch abschließbare Fahrradabstellmöglichkeiten,
    • die neue Konzeption eines Radverkehrsnetzes auch für den Alltagsverkehr,
    • die Identifizierung der Lücken im Radwegenetz an den Hauptverkehrs-achsen, die Minikreisverkehre als Elemente der neuen Verkehrsführung,
    • die Umgestaltung von Hauptverkehrsstraßen in Obertshausen, Dietzenbach Neu-Isenburg, Hainstadt - Hainburg und Mühlheim - Lämmerspiel,
    • die Einrichtung einer Schnellbuslinie in der Ost-West-Relation,
    • die Neuausrichtung der flexiblen Verkehre im öffentlichen Verkehr,
    • die Stärkung der Einnahmen im ÖPNV durch Gewinnung weiterer Personengruppen am Beispiel der Oberstufenschule in der Stadt Rodgau und seit 2014/2015 durch die kreisweite CleverCard,
    • die Zusammenstellung einer Grundstruktur vorhandener Verkehrsdaten mit punktuellen Ergänzungen,
    • den verstärkten Einsatz des Mobilitätsmanagements in Betrieben, Schulen und in der Freizeit, die Kooperation zwischen Kommunen,
    • die kommunale und verwaltungsübergreifende Abstimmung im Bereich der verkehrsbehördlichen Aufgaben durch die wiederbelebte Arbeits-gemeinschaft Verkehrslenkung oder
    • die regelmäßigen Arbeitstreffen der betroffenen Verwaltungseinheiten.

Am Donnerstag wurde das Mittel des World-Cafés genutzt, um Bewertungen abzufragen. Nachdem sich grundsätzlich fast 100 Prozent der Anwesenden dafür entschieden, dass ein Leitbild für das Jahr 2030 eine vernünftige Sache sei, ging es mit sechs Themenblöcken weiter. Zum Stichpunkt Wertewandel stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer übereinstimmend fest, dass dem demografischen Wandel Rechnung getragen werden müsste. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob der zunehmenden Individualisierung gerade auch im öffentlichen Personennahverkehr tatsächlich in jeder Facette Rechnung getragen werden muss.

Zum Stichwort Kommunikation und Partizipation kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu dem Ergebnis, dass die Nutzung der neuen Medien künftig die zentrale Rolle spielen wird, aber hier verstärkt auch auf Dialog gesetzt werden müsste. Erste Ansätze besitzt hier beispielsweise der Radroutenplaner Hessen mit einer Plattform zum Melden von Mängeln. Darüber hinaus müssen die unterschiedlichen Zielgruppen angesprochen werden wie auch die neu wachsende Zielgruppe der Migranten. Dabei ist auch über mehrsprachige Informationen nachzudenken.

Zur Frage der Infrastruktur und Daten wurde das Thema Kommunikation erneut in den Mittelpunkt gestellt, wobei viele der Auffassung waren, dass die zunehmende Informationsflut nicht wirklich der Transparenz diene. Eine weitere wesentliche Erkenntnis war die Tatsache, dass die Zersplitterung von Zuständigkeiten hier möglicherweise gerade auch mit Blick auf die Vernetzung einer Verbesserung eher hinderlich ist. Gefordert wurden Wissenscluster, die nicht nur die interkommunale Zusammenarbeit stärken, sondern auch ressourcenschonend sind. Als großer Mangel wird eine Schnittstellenproblematik definiert. ÖPNV ist nur so attraktiv wie auch die vorhandene Anschlusssicherheit.

Zum Stichwort der Kooperation wurden Einrichtungen wie der runde Tisch Radverkehr sehr gelobt, weil sie beispielhaft dafür sind, wie die gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteuren funktionieren kann. Hier wird durchaus noch Handlungsbedarf gesehen, zumal Verkehr weder an Stadt- noch an Kreisgrenzen halt macht.

Diese Problematik wurde dann auch im Themenfeld Personal noch einmal sehr viel deutlicher artikuliert. Hier wurde angemerkt, dass unter dem vorhandenen Kostendruck in den vergangenen Jahren vielerorts Personal reduziert wurde. Dies führt dazu, dass die enorme Menge an Verordnungen, Durchführungsvorschriften und insbesondere das exponentiell anwachsende fachliche Spezialwissen häufig von dem Einzelnen kaum noch bewältigt werden kann. Als Lösungsansatz wurde auch bei diesem Thema, ähnlich wie an anderen Tischen, eine Kooperation angeregt. Daneben wurde die Schaffung einer „Wissensplattform“, auf die alle Teilnehmenden zugreifen können, als potentieller Lösungsansatz skizziert. Das Themenfeld Kommunikation wurde in dieser Runde von zwei Seiten beleuchtet. Einerseits wurde die Informationsflut, die mit der Digitalisierung der Arbeitswelt einherging, beklagt, andererseits wurde aber auch die immense Bedeutung eines umfassenden Informationsaustauschs herausgestellt. Als generell sehr wichtig wird eine kontinuierliche Weiterbildung erachtet. Darüber hinaus brauchen Bürgerinnen und Bürger konkrete Ansprechpartner bei denen sie ihre Probleme artikulieren können und wo ihnen auch geholfen wird.

Sechster und letzter Punkt war der Themenbereich Wirtschaftsstruktur, bei dem sich eine Frage herauskristallisierte, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht unmittelbar mit Mobilität in Zusammenhang gebracht wird, das sind die Probleme des Einzelhandels in den Innenstädten. „Gerade aber hier wird deutlich“, so Landrat Oliver Quilling, „wie eng Mobilität und Technologisierung verzahnt sind, denn diese Fragestellung macht deutlich, dass die Mobilität im Datennetz in manchen Bereichen eine echte Konkurrenz ist. Eine weitere wichtige Frage im Bereich Wirtschaft ist die Ausstattung des Kreises mit einem Breitbandnetz und die Frage wie man künftig mit Logistikstandorten umgehen soll, die zweifelsfrei eine zusätzliche Belastung des Straßenverkehrs bedeuten.“

Das umfangreiche Meinungsbild, was sich in weit über 100 Meinungskarten äußerte, wird nun abschließend in den Leitbildentwurf eingepflegt, um dann 2016 in die Praxis einsteigen zu können. Die Liste der besonderen Herausforderungen, die dann 2016 in die Praxis umgesetzt werden müssen, ist lang. „Als Hauptzielfelder stellen sich wohl die Punkte Barrierefreiheit, intermodale Verkehrsstrukturen, Kommunikation und Nachhaltigkeit heraus“, ziehen Landrat Oliver Quilling und Erste Kreisbeigeordnete Claudia Jäger eine vorsichtige erste Bilanz, „wir wollen aber dem endgültigen Leitbild nicht vorgreifen.“

Das Thema hat schier unendliche Facetten, das zeigt sich auch darin, dass in den vergangenen Jahren an der Hochschule Darmstadt 21 Bachelor-, neun Masterarbeiten sowie fünf forschungsnahe Arbeiten und über 20 Lehrveranstaltungen zu diesem Thema durchgeführt wurden. „Die Mitarbeit der Studierenden garantiert auch“, so Professor Dr. Follmann, „dass die Belange der jungen Generation hier in großem Maße einfließen, denn, das muss uns allen klar sein, die Entscheidungen von heute und das Leitbild von heute bestimmt im Wesentlichen das Leben der jungen Generation.“ „Wir gehen alle davon aus“, so Landrat und Erste Kreisbeigeordnete abschließend, „dass das Leitbild, das wir dann im November abschließend vorlegen, ein guter Startschuss und gleichzeitig eine vernünftige Basis für die Verkehrsentwicklung in den kommenden Jahren ist. Dabei muss allen Beteiligten klar sein: manches verlangt Umdenken, manches wird wehtun, manches wird Geld kosten und manches wird nicht von Dauer sein. Dies geht natürlich nicht ad hoc, aber hier versteht sich der Kreis als Moderator in einem Verfahren, bei dem alle Interessen gleichermaßen Berücksichtigung finden müssen. Nur wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen, werden wir den Standortfaktor Mobilität, der in unserer Region ein riesiges Plus ist, auch zukunftsorientiert ausbauen können.“

Projektpartner für das Leitbild Mobilität sind neben dem Kreis Offenbach, die Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach mbH (kvgOF), die Gesellschaft für Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain mbH (ivm) und die Hochschule Darmstadt (h_da).